Hallo Mitwelt!
Heute zwei kontrastiv exzellent gematchte Fundstücke im Feed vom SWR2 Archivradio vorgefunden. So direkt nacheinander gehört, zeigen beide erschreckend deutlich manch realpolitischen Irrsinn auf. Es geht um den in Kontinentaleuropa berüchtigten BREXIT aus der EU, der Europäischen Union (=Gemeinschaft= der 28, dem ein „Brentry“, ein Eintritt der Briten vorhergegangen sein musste. Es geht um zwei Radiokommentare aus dem Archivfundus des SWR, die Ein- wie Austritt kommentieren. Zum einen
- in 13Minuten über den Festakt zum Beitritt Großbritanniens am 22.01.1972 zur EWG – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die sich bereits am 25.03.1957 gegründet hatte. Ausdrücklich: W wie Wirtschaft, nicht etwa W wie Werte… Fünfzehn Jahre später war es für Großbritannien also soweit, das jedoch im dritten Anlauf nach 1961 sowie 1967. Beide „Matchbälle“ bis dahin abgewehrt durch Frankreichs Staatsoberhaupt Charles de Gaulles, erst dessen Abtritt 1969 den Weg freimachte. Seine „Gründe“ wider das UK nicht nur, aber AUCH, dass über das eingemeindete UK die USA Einfluss in der alten Welt, in Europa erlangen könnten. Noch weit vor der McDonaldisierung drückte de Gaulles so kulturpessimistisch nationale Befürchtungen einer Cocakolonisierung vor allem Frankreichs durch die USA aus. Coca-Cola hier sinnbildlich und synonym für US-amerikanische Kultur- und insbesondere Konsumgüter, über die es zu einer kulturellen Amerikanisierung käme. Eventuell selbst Anfang der 1960er Jahre schon etwas spät dran, da die Disneyfizierung wohl schon ihren Weg über die Fernseher genommen hatte: die Erfüllung des American Dream, wo jede*r den American Way of Life gehen kann, wie ihn die Disney-Filme da längst vorgeführt haben. Vielleicht nicht in Frankreich, aber in Deutschland der 1950er Jahre war die US-Kultur auch längst vorgedrungen, nämlich massenhaft in Form von Übersetzungen in diverse Science Fiction-Reihen. Seither wurde das bis dahin Zukunftsroman und ähnlich genannte Genre dem US-Vorbild der Goldenen Ära nach überhaupt erst amerikanisiert Science Fiction genannt. Details von Hans Frey im MEMORANDA-Podcast!
- in bezeichnend nur noch 3Minuten zum final endgültigen BREXIT am 01.01.2021 – also vor gut einem Jahr inmitten der Pandemie, sich auftürmender Alpha-Welle. Ältere erinnern sich noch oder wieder, nachdem sie nach viereinhalb Jahren BREXIT-Unwetter den sich lichtenden Himmel und die eintretende Ruhe genossen (hätten – ohne Corona).
Zu beiden Archivkommentaren diese Kommentare von mir, dass
- ich den richtiggehend liebevollen Detailgrad des ersten Kommentars einmalig gut finde. Gibt es heute so nicht mehr, wüsste ich nicht. Dass die Würdenträger des Festaktes, die es zu Papier bringen durften, die Dokumente von der linken Seite angereicht und von rechts etwas zum Schreiben zur Hand bekommen; wie die Tische angeordnet sind, wer wo sitzt; dass der kecke britische Botschafter vor Ort die Presse just zu einer Zeit zu sich lud, als anderswo oppositionelle Gegner des Beitritts ihren Auftritt hatten… Warum derart detailliert und präzise und weniger als Story? Vermute, weil all sowas noch überhaupt nicht normal und Standard geworden war, sondern noch gründlich präsentiert und der Zuhörerschaft näher gebracht werden musste. Weil der Grad der TVisierung, geschweige denn Eventisierung einen Bruchteil von heute betrug und viele Bilder, wie man sowas macht und veranstaltet, gar nicht bekannt, noch nicht ins medial vermittelt kommunikative Gedächtnis vorgedrungen waren. Der „Knigge“ hierzu hatte sich, von mutmaßlich noch wenigen (Stand)Bildern abgesehen, noch nicht so sehr verbreitet, als dass er selbstverständlich und keiner Rede mehr wert geworden wäre. Kurzum: es war noch erwähnenswert und macht es für mich daher unglaublich hörenswert. Da schildert jemand die Welt vor sich und macht sich – und uns – nur über die zu hörenden Worte ein Bild davon. Ein vielleicht selber noch nicht gar so abgezockter Journalist, für den es auch noch eine besondere Sache war, einem raren Beitritt so nahe beiwohnen zu können. Er berichtet von oberhalb des Sitzungssaales, aus einer Glaskabine hinaus. Ist das heute noch so? Gegebenenfalls längst abgeschafft, weil zu gefährlich. Journalisten könnten von da oben verunfallen, Terroristen sich dorthin einschleichen und ganz anderes fallen lassen…
- BoJo echt drollig ist, wenn er inmitten Corona den Nationalstolz zu pushen versucht, weil man ja mit dem Impfstoff von AstraZeneca den ersten seinesgleichen im Westen marktreif gemacht und im Weiteren zur Verfügung habe. Tja BoJo, beim nächsten Mal auf Party verzichten und vielleicht dem Briefing beiwohnen. Dann hätte er erfahren können, wäre ihm zum ersten Mal mitgeteilt worden, dass Astrazeneca 1999 als Zusammenschluss aus der britischen Zeneca PLC und der schwedischen Astra AB entstanden ist. Und wenn BoJo investigativ nachgefragt hätte, hätte er in Erfahrung bringen können, dass A) Imperial Chemical Industries als imperial langer Vorgänger nicht mehr existierte und auch hier symbolisch das Empire abgedankt wurde; B) dieses Schweden nicht nur von kontinentaler Lage, sondern auch noch allen Ernstes echt und wirklich schon seit 1995 Mitglied der EU ist! LOL ROFL OMG Hauptsitz ist zwar in UK (Cambridge – ANALYTICA??), wo man die Cashcow melkt; die Entwicklungs- und Forschungsabteilung hingegen liegt auf EU-Boden 😀 Kann man sich gar nicht ausdenken, aber true story!
Aber PSSST, dass das niemand BoJo verrät, wie viel EU in jedem Impfpieks steckt. Ein Teil der Antwort könnte selbst ihn sonst beunruhigen. Als Fazit kann man jenseits von Spott nur sagen: schade, dass zwischen Brentry und Brexit keine 50 Jahre liegen, es nicht einmal fürs Jubiläum gereicht hat. Und nimmt man 2016 mit dem verheerenden Voting wider EU-ro-pa, dann hat die Affäre sogar bloß 44 Jahre gehalten. Anderthalb Generationen, ja, soweit so immerhin. Aber viel zu kurz für echten Aufbau und nachhaltige Stabilisierung. Davon ab, dass schon Ende des Eintrittsjahrzehnts die Desintegration allen vergemeindenden Sozialen Einzug hielt, was für eine Union üble Vorzeichen sind: Neoliberalismus im Stile der Eisernen Lady, Mrs. Thatcherism – there is no alternative or society. Für den britischen Unterzeichner und Wegbereiter des Beitritts, Edward Heath Edward Heath – Sir Edward Richard George „Ted“ Heath, so viel Zeit muss sein – sicherlich ein Schreckgespenst, das da im Nachgang aus den nebelumhangenen Mooren seiner Heimat auferstanden ist. Für ihn war es noch ein – DAS Projekt seiner Generation; für einen Staat weiter Willy Brandt war es das Projekt für die Folgegeneration; für die Thatcherista war es wohl gar kein Projekt mehr. Und dennoch gab es mit diesen thatcherisierten Neoliberals trotzdem die EU, der man dennoch überdrüssig wurde. Hat Obelix am Ende doch als einziger die Sache durchschaut? „Die spinnen die Briten!“ Hoffentlich nicht.
EDIT vom 23.01.2022: Link zu EU-Werten hinzugefügt. Letzten Absatz hinzugedichtet.
Ein Kommentar zu „Vom Brentry zum Brexit“