Feuerstelle der Menschheit

Hallo Mitwelt!

Heute gilt es, unseren inneren Höhlenmenschen zu erwecken, was uns in pandemischen Cocooning-Zeiten nicht allzu schwerfallen sollte. Wir reisen zurück in die Steinzeit, als Stein wirklich noch das Supermaterial für alles war, was menschliche Kultur ausmachte. Es geht aber genauso um das Feuer, womit erneut ein Puzzlestück als Beweis aufgebracht wäre, dass Menschheitsgeschichte Feuergeschichte ist, wie es Jens Soentgen in der Redezeit (abrufbar bis 21.01.2023) erklärt hat.

Steinzeitliche Höhlen-Raumplanung

Von science.ORF.at berichtet, geht es um eine in „Scientific Reports“ erschienene Studie: „The influence of smoke density on hearth location and activity areas at Lower Paleolithic Lazaret Cave, France“. Beforschter Ort ist die in archäologisch-paläoanthropologischen Kreisen für ihren Fundreichtum über Jahrzehntausende hinweg berühmte Höhle Grotte du Lazaret in Frankreich. Die Funde reichen zurück in die Zeit von vor 200.000 bis 130.000 Jahre. Genauer gefasst, erweist sich Lazaret als Schmelzpunkt zweier steinzeitlicher Kulturen, der altsteinzeitlichen Acheuléen-Kultur, die von vor 1,76 Mio. bis 150.000 Jahren mit ihrem Steinwerkzeuggebrauch die Welt prägte. Für das Gros dieses Zeitraum gilt allerdings, dass unsereins – Homo sapiens – noch nicht mal in der Planung war, ergo Homo erectus oder Neandertaler das steinerne Zepter schwang. Und auch wenn dann sapiens der Krabbelgruppe entwachsen nach und nach mitspielen durfte, tat sapiens das nicht auf diesem westeuropäischen Spielplatz. Vergleichsweise spät entlang dieser Zeitachse trat dann die mittelsteinzeitliche Moustérien-Kultur vor 120.000 bis 40.000 Jahren auf den Plan. In unseren Breiten die meiste Zeit One Species-Show des Neandertalers, bis er ungeladenen Besuch bekam. So ist der älteste Homo sapiens, der in Ostafrika zu Werke gegangen war, als „Omo 1“ namhaft geworden und nach neuesten Datierungen vor etwa 230.000 Jahren lebhaft – vor lauter Alter daher auch schon tot. Ohne es hier und jetzt zu verkomplizieren, der Weg von Homo sapiens aus Afrika ins Neandertalerland Europa verlief wohl in mehreren Wellen und führte ziemlich sicher doch nicht auch über die Westroute, die Straße von Gibraltar, die im Gegensatz zur Ostroute entlang der levante aufgrund von Meeresströmungen eine zu große Barriere dargestellt haben dürfte. Für unseren Zusammenhang heißt das, dass der „kurze Dienstweg“ über Gibraltar hoch nach Frankreich hinein in die Grotte du Lazaret so – mutmaßlich – nie existiert hat. Wenn denn Homo sapiens dorthin hinzugekommen wäre, dann nur per langem Marsch von der Levante über Südosteuropa. Oder/und aus Südwestasien in mindestens fünf Phasen durch das „grüne Arabien“. Die ersten DNA-Spuren von Einwanderern nach Europa stammen von vor 45.000 Jahren, nur dass sich den Genen nach diese Populationen hier nicht etablieren konnten, also nur evolutionäre Touristen auf Sightseeing waren. Schon damals ein Problem. Ohnehin war das gemeinsame Zeitfenster, in dem sich sapiens und Neandertaler wohl nicht nur die Hand reichten, sondern auch Sex miteinander teilten, nicht so groß, wie man lange angenommen hat. Grund für die Verschmälerung gemeinsamer Zeiten sind diverse Neudatierungen dank verbesserter Messmethoden. Demnach hatten beide Arten vermutlich gerade so 4.000 Jahre Zeit füreinander statt bis dato angenommene gut 6.000 Jahre. Mutmaßlich schon vor gut 40.000 und nicht etwa erst vor 24.000 Jahren war dann Schluss für Neandertaler, sapiens erwies sich als Opportunist und nutzte die Gunst der Stunde schamlos für sich aus. Wie viel tödliche Konkurrenz sapiens hierbei schlau ausspielte und ethnozidal über seine Anverwandten mörderisch hinwegrollte, war lange unklar. Im Zweifel für den Angeklagten, das noch nicht anthropogene Klima hatte ihn bevor- und alle anderen benachteiligt:

Während der Mensch die klimatische Nische – in der er mit entsprechender Kleidung nicht erfriert und auch die richtige Nahrung findet – immer weiter ausdehnte, wurde der ökologische Raum, in dem es sich halbwegs angenehm leben lässt, für alle anderen anscheinend immer enger.
Die Berechnungen zeigen, dass die Lebensräume für manchen Urmenschen ziemlich abrupt geschrumpft sind. Das Aussterben des Homo erectus fällt beispielsweise mit der letzten Eiszeit zusammen. Vermutlich ist es dem Urmenschen einfach zu kalt geworden. Auch der relativ anpassungsfähige Neandertaler sei immer weiter in Richtung Süden gewandert. Die jüngsten Funde stammen aus dem Mittelmeerraum. Verschlimmert habe sich seine Situation durch die Konkurrenz mit dem sich zunehmend ausbreitenden modernen Menschen[.]science.ORF.at

Dabei war auch Neandertaler nicht ohne, hatte Köpfchen, mit dem er Zahlen jonglierte; wusste schon vor 125.000 Jahren über nachweislich 2.000 Jahre hinweg kontrolliert per Feuer seine Umgebung für sich zu gestalten und sich lichte Stellen im Wald zu schaffen und fertigte vor 65.000 Jahren Blattspitzen aus Feuerstein eventuell für Stoßlanzen zur Großwildjagd.

Lange Vorrede, auch ein Sinn: dass in der Grotte du Lazaret, um die es hier immer noch geht, Homo sapiens noch nicht seine Finger im Spiel hatte und demnach Neandertaler ist, um den es hier dezidiert geht. In Lazaret konnten im Laufe der Zeit Forchende 20 Siedlungsflächen über 90qm ausgraben und der sedimentierten Vergangenheit entreißen. Bewohnt wurde die Höhle mal nur jahreszeitlich in Herbst oder gar nur Winter, anderswann auch bis zu mehrjährig, dürfte also dann Lebensmittelpunkt für die lokale Gemeinschaft gewesen sein. Allein das ein interessanter Befund, denn das hieße, Neandertaler wäre halbnomadischer Jäger und Sammler gewesen, (generisch) der mobil un-, ggf. sogar spezialisiert aus seiner Umwelt lebte. Das mag in Lazaret so ausgesehen haben
Künstlerische Darstellung des Höhlenlebens (Lazaret); entnommen: science.ORG.at

In eingangs gelinkter Studie ging es nun um die Frage, wie es sich in einer Höhle wie beispielhaft Lazaret mit der Rauchentwicklung an Feuerstellen verhalten hat. Je verrauchter, desto gesundheitsschädlicher, umso lebensverkürzender und populationsnachteilhafter. So wenig Urmensch die Zusammenhänge im Rauch schon durchschauen konnte, so assoziativ klar dürfte es auch diesen Ahnen geworden sein, dass bei falscher Räucherung und mangelnder Durchlüftung diese Wohnstätte nicht lebenswert sein konnte. Frei spekuliert und unterstellt, dass gehäufte Tode in „verruchter Höhle“ naturreligiös gedeutet und mit einem unheiligen Bann ausgelegt worden sein könnten. Früheren Annahmen haben nahe gelegt, dass Feuerstellen im hinteren Teil einer Höhle zu liegen hätten, doch der Befund in Lazaret stand dem irritierend entgegen. Hier war die Feuerstelle höhlenzentral in Nutzung. Die Frage nun: warum denn das? Wieso just diese Stelle? Dem sind die Forschenden per computerzeitlich angemessener Methodik, einer Simulation, auf den Grund gegangen.

„Frühe Menschen brauchten eine Balance – eine Feuerstelle, in deren Nähe sie arbeiten, kochen, essen, schlafen, zusammensitzen und sich wärmen konnten, während sie nur einer minimalen Menge an Rauch ausgesetzt waren“, so die Forscher[…] . Die Computersimulation identifizierte eine 25 Quadratmeter große Fläche in der Höhle, die diese Voraussetzungen optimal erfüllte. Untersuchungen verschiedener Schichten in der Höhle hätten ergeben, dass die frühen Menschen tatsächlich diese Fläche ausgewählt hatten.science.ORF.at

„Diese Fähigkeit beweise „Findigkeit, Erfahrung und planmäßiges Vorgehen sowie das Bewusstsein für die gesundheitlichen Schäden durch Rauchbelastung.“ Ganz ohne Sensoren oder Simulatoren hatten es die ollen Urmenschen also schon drauf, wussten mit dem so gefährlichen Feuer – Jens Soentgen hoffentlich noch im Ohr – in und außerhalb von Höhlen umzugehen, es für die ureigenen Zwecke zu gebrauchen. Anschauliches Beispiel, so die Autor*innen, für die „hohen kognitiven Fähigkeiten“ der Menschen vor bereits 170-150.000 Jahren – dem primären Beobachtungszeitraum. Frühe „Raumplaner“, die sich einzurichten wussten.

Kognitive Revolution preloaded?

Clever schon vor nahezu 170.000 Jahren – damit ist der Zeitraum nochmal um beinahe 100.000 Jahre nach hinten verschoben, in dem man den Menschen (gleich welcher Art, bevorzugt exklusiv sapiens) nennenswerte kognitive Leistungen zugesprochen hat. So spricht zum Beispiel Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von der kognitiven Revolution, verortet sie zeitlich jedoch ins Jahr 70.000 vor unserer Zeit und spricht sie nur sapiens zu. Nach voriger Leistungsschau von Neandertaler in Lazaret, wofür Homo sapiens sapiens zur Einsicht Computerbetreuung bedurfte, scheint mir die Sachlage so klar nicht mehr zu sein. Während mit der kognitiven Revolution von Homo sapiens eine (erste), die sog. quartäre Aussterbewelle einhergegangen ist, fügte sich Neandertaler augenscheinlich besser in seine Umwelt ein.

Von mir frech entlehnt bei Raymond Dasmann, mache ich die Unterscheidung geltend von “Öko- und Biosphären“-Menschen. Nach Dasmann (und zitiert nach Wiki) sind diese Lebensarten von Menschen so zu charakterisieren

    • Ökosystem-Menschen nutzen nur die Ressourcen eines oder weniger benachbarter Ökosysteme
    • deren Nutzung erfolgt extensiv, energie- und ressourcenschonend (suffizient) und damit nachhaltig
    • der Einfluss auf die Umwelt blieb über viele Jahrhunderte ohne negative Konsequenzen für die Existenzgrundlage der Menschen
    • es bestehen verschiedene „naturreligiöse“ und soziale Praktiken, um diese fragile Balance zu bewahren.
    • „Ökosystem“-Menschen: die unmittelbar verfügbaren Ressourcen und Ökosysteme wurden übernutzt bis zur Degeneration ihrer Leistungsfähigkeit
    • anschließend erfolgte (notgedrungen) eine Ausweitung auf benachbarte Ökosysteme – und so fort.

Weiter:

Ökosystem-Menschen sind von intakten Umweltbedingungen abhängig und spüren Störungen im Naturhaushalt unmittelbar. Demgegenüber nimmt Dasmann an, dass Biosphären-Menschen Umweltschäden in fernen Biotopen nicht direkt wahrnehmen und die Verringerung der Produktivität einzelner Ökosysteme zumeist anderweitig kompensieren. Sie verfügen laut Dasmann „über das Potential, die ganze Erde zu einem Paradies zu machen oder zu zerstören.“Wikipedia

Dasmann führt diese Unterscheidung ein, um besser abgrenzen zu können, wie einst sogenannte „Naturvölker“ (Ökosphärenmenschen) und sog. Hochkulturen (Biosphärenmenschen) auf ihre umgebende Natur zugreifen, sie beeinflussen und gestalterisch verändern. Der Grad der Intensität und des Ausmaßes, wie sehr und wie weit der Zu- zum Eingriff wird, zieht die Trennlinie zwischen beiden Menschenschlagen. Deutlich gesagt, blickt er jedoch auf Homo sapiens in etwa seit der „neolithischen Revolution“, seit – je nach Region – gut 10.000 Jahren, seitdem sich zunehmend Menschen in Städten wieMaidanets’ke oder Tell Brak sesshaft ballen, sich rund um solche Ansiedlungen Tiere wie Wildkatzen domestizierend einfanden. Es geht ihm also um die Frühgeschichte der Menschheit, seither sich die Menschentypen öko- und biosphärischer Weltnutzung voneinander geschieden haben.

Ich stelle die These auf, dass man diese Unterscheidung – zumindest prototypisch – schon in vor- und urgeschichtliche Zeiten zurückverfolgen und an den Arten von Homo – Neandertaler versus Homo sapiens im Speziellen – festmachen kann. Die Art sapiens ist von frühesten Zeiten an, seit der von Harari attestierten „kognitiven Revolution“ von vor 70.000 Jahren, in der Form des Weltbegreifens, der Weltnahme „biosphärisch“ geprägt, in jedem Falle „biosphärischer“ als ihre Anverwandten. Diese sehr wohl auch schon Welt gestalten konnten, wie in Lazaret beeindruckend gezeigt, das aber trotz herausragender Umweltkenntnisse wesentlich ökosphärischer taten. Ökosphärisch hier verstanden, dass sie zumindest auf Zeit bedeutend ortsverbundener lebten und sich an den Ort einpassten oder/und zwar (halb)nomadisch weiterzogen und des Klimas wegen im Laufe von Generationen auch um einiges an Strecke, das aber stets als Ortswechsel. Homo sapiens wechselte nicht nur den Ort, ggf. um vor Klima oder Ähnlichem zu entkommen, sondern verbreitete sich über die bisherigen Regionen hinaus. Fortlaufende Landnahme, Weltreichweitenerweiterung im Verständnis von Hartmut Rosa. Euphemistisch zumeist als Neugier bezeichnet, geht damit eine intrinsische Weigerung einher, Unverfügbarkeit hinzunehmen oder gar zu akzeptieren. Das ist zugegeben eine steile These, hergeleitet aus der Befundung einsichtiger Platzierung einer Feuerstelle in der Lazaret-Höhle vor 170.000 Jahren. Die Assoziation(skette) ist zugegeben auch mehr gedankensprunghaft als schon durchdacht oder als Hypothesen-Fundament ausformuliert. Doch warum sonst konnte vor allem Neandertaler all das schon, war derart pfiffig und umweltgeschickt, anscheinend z.T. sogar noch weit vor Homo sapiens, mit teilweise mehr Zeit zum Einüben, um dann doch – angeblich stark klimabedingt – den Löffel abzugeben. In Europa seit zig Jahrzehntausenden zugegen, um dennoch just hier evolutionären Konkurs anzumelden, während sapiens in so viel kälterer Region Fuß fassen und sich innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit dauerhaft anpassen konnte. An sapiens scheint mir da von Grund auf sehr viel „Biosphärentum“ verlorengegangen zu sein, in ihm steckt bedeutend mehr Any- statt Somewhere, stets hinaus- und umherstrebend, demgegenüber Neandertaler kleinräumlicher lebten.

Von solchen wiederum hinausstrebenden, immerhin in diesem Sinne also sapienten Gedanken abgesehen, ist faszinierend, welche Einsichten man über das raumplanerische Verständnis von Menschen erlangen kann, die seit über 150.000 Jahren dahingeschieden sind. Der Artikel geht leider nicht näher darauf ein, wieso man bis dato der Meinung war, dass in Höhlen Feuerstellen weiter hinten zu liegen hätten. Ungeübt im Höhlenbewohnen, scheint mir das vielmehr reichlich ungünstig, da bis dorthin doch gar keine frische Luft mehr gelangt, so sehr das Feuer andererseits von Wind und Wetter geschützt sein mag. Zu nah am Höhleneingang könnte ein ungünstiger Luftstoß, eine vielleicht auch noch feuchte Bö das Feuer zum Verlöschen bringen, von diesem so viel Kultur abhängt. Feuer- als Menschheitsgeschichte!

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2 Kommentare zu „Feuerstelle der Menschheit

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