Hallo Mitwelt!
Apropos Weltnichtrauchertag vom 31.05. – daran schließt nur zu hörenswert das WDR-ZeitZeichen vom 27.06.2022 an. An dem Tag vor 65 Jahren: 27. Juni 1957 – Kampagne in Großbritannien warnt vor Lungenkrebs durch Rauchen. Die erste Kampagne ihrer Art, nachdem zuvor das kolumbische Erbe Tabak über Jahrhunderte hinweg als Heilkraut in zahllosen Aufbereitungen in Europas High Society die Runde gemacht hatte.
Schuldlos schuldig hieran sind die Indigenen, deren Rache für Eroberung, Ermordung und Infektionskrankheiten die Nikotinabhängigkeit und Lungenkrebs geworden sind, die sich die Europäer nach Hause geholt haben. In der alten Welt als „Genuss der Götter“ gepriesen und verklärt, gerieten im Nebel behaupteter Heilkräfte die geschnupften und sonstwie inhalierten Risiken und Nebenwirkungen gar nicht in den Fokus oder die angelegentlichen Spötteleien wurden gekonnt ignoriert. Schon im Popol Vuh, dem „Heiligen Buch des Rates der Quiché-Maya im heutigen Guatemala aus dem 16. Jhdt. heißt es: „Das Rauchen ist die ewige Freude der Götter, die, wenn es blitzt, Feuer schlagen, sich ihre Tabagos anzünden und Wolken in alle vier Winde blasen.“ Und wer wäre nicht göttlicher als die Götter, wenn nicht die Europäer? Was Götter können, können Europäer immerschon!
Kolumbus brachte den Tabak nach Europa. Hier wurde er in Apotheken als Arzneimittel gehandelt. Das nikotinhaltige Kraut sollte helfen gegen Kopf- und Zahnschmerzen, Schwind- und Wassersucht, Geschwüre, Krätze, Pest und Ruhr. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Tabak in Form von schnell konsumierbaren Zigaretten zum Massenprodukt. Weil die Glimmstängel Hunger und Gefühle unterdrücken, wurden sie im Ersten Weltkrieg kostenlos an die Soldaten in den Schützengräben geliefert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde schließlich in Europa mehr geraucht denn je.„Klappentext“ zum ZeitZeichen
In eigentlich doch nur 14 Minuten Hörzeit wird anhörlich eine kurze Geschichte der Nikotinsucht komponiert: in allen erdenklichen Aufbereitungsformen und der schönen Blüten wegen machte die Importpflanze in Europas Adel die Runde und brachte wie sonst nur „der eine Ring“ seine Gebrauchswarennutzer in lebenslange Abhängigkeit. Das blieb gut 300 Jahre weitgehend auf diese ehrenwerten kreise beschränkt, bis gegen Ende des 19., noch mehr zu Beginn des 20. Jhdt. die Darreichungsform sich verglimmstängelte und in seiner Griffigkeit unwiderstehlich wurde. Rauchen wurde zur massenhaften Beschäftigung, die sogar in die sonst so gestrenge Taktung des Fordismus, der fabrikmäßigen Fließbandarbeit, als Raucherpause Einzug hielt. Gegen manches ist kein Kraut gewachsen…
Erschütternd, weil mit ihm möchte man partout nicht gleichstehen, dass Adolf Hitler energetischer Widerstreiter gegen das Rauchen war. Doch das wirklich Allereinzigste, das man „dem Führer“ hätte glauben sollen und dem man bereitwilligst hätte Folge leisten sollen, blieb ein bloßes appellatives Rauchwölkchen, das vom Winde verweht wurde. Das Statistische Reichsamt stelte nämlich desillusioniert fest, dass sich von 1907 bis 1940 das Verglimmstängeln verfünffacht habe – bloßes Vorspiel, bloße Fingerübung für das, was da noch massenhafter folgen sollte. Bei allem sonst verdrängungsvermögend weggeguckt, bereitwillig ignoriert und einfältig gutgläubig alles hingenommen, aber selbst vom Führer ließ sich der Deutsche nicht die Zigarette aus dem Munde nehmen. Wer viel verdrängt, muss kompensieren – vielleicht sollte man den Siegeszug des Rauchens nach dem Zweiten Weltkrieg als unausgesprochenes Eingeständnis der Deutschen lesen, als Selbstgeißelung zur Strafe der vorigen zwölf Jahre der Verirrung. Eine erneute Rache für verbrochenes Leid in der Welt.
Und dann in einem Britannien weit vor BoJo kam es dann zur ersten Aufklärung über zuvor sukzessive eben doch wahrgenommener Nebenwirkungen und Langzeitfolgen des Tabakkonsums. Leider nicht erwähnt im Beitrag wird Robert N. Proctor, dessen fundamentale medizinhistorische Studie weiter auf Übersetzung wartet. Dafür ist Experte der Sendung Thomas Richter am Start und kann selber als Medizinhistoriker und Apotheker kundig aufwarten. Denn diese Skurrilität gab es einst auch, dass dieses Wundermittel aus der neuen Welt in Apotheken aufbereitet und verkauft worden war. Heutzutage gibt es zwecks Entwöhnung bevorzugt noch Nikotinkaugummis, die zwar der Lunge guttun, aber trotzdem abhängig halten. Ob Nikotin oder Nikotin, Hauptsache abhängig. Zugegeben, es vermag die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und neuronal wohlwollende Gefühle auszulösen, an die man sich nur zu gerne gewöhnt. Es gibt also sehr wohl Effekte jenseits stumpfer Rationalisierungen, deretwegen überhaupt irgendwer zum Glimmstängel greift und dabei bleibt. Gut es dennoch nicht ist.