Dark side of life – Verlaufskurven und Depression

Hallo Mitwelt!

Wer unter einer Depression leidet, blickt eher pessimistisch in die Zukunft. Warum sich daran auch nach einer guten Erfahrung wenig ändert, hat jetzt eine deutsche Forschungsgruppe untersucht. Wie sie in »Clinical Psychological Science« berichtet, erscheinen den Betroffenen ihre Erfolge eher als Ausnahme von der Regel. Im Einzelfall könnten sie zwar ihre Erwartungen an die spezifische Situation anpassen. »Sie haben aber Schwierigkeiten, diese Lernerfahrung zu verallgemeinern.«

Zitiert aus dem Spektrum-Artikel von Christiane Gelitz Depression: Erfolge erscheinen als Ausnahme von der Regel.

Hatte mal irgendwo gelesen, es bräuchte fünf positive Inputs/Feedbacks/Momente, um einen negativen auszugleichen / wettzumachen. Ich dachte mir da nur und bei obigem Zitat wieder: Wie kommt / gelangt man denn auf fünf Goods bzw. wie bleibt man denn bloß bei einem Bad? Das Verhältnis ist doch umgekehrt? O_o Und wenn – auch nur gefühlt – eher 5 Bads einem Good gegenüberstehen, dann ist doch klar, wenn das Gute da unter die Räder kommt und auf der Strecke bleibt.

Wie sollte man denn auch von einer Ausnahme induktiv verallgemeinern? Nicht, dass das inmitten einer Depression zum Tragen kommt, aber vom Einzelfall aufs Ganze zu schlussfolgern, ist wissenschaftlich auch gar nicht angeraten. Als Anekdotisches Wissen sehr wohl Anlass, Hypothesen zu bilden, ob dem so sein könnte, um dem dann nachzugehen. Aber mehr Allgemeingültigkeit wird dem Einzelfall zunächst nicht zugestanden.

Selbstwirksamkeitserfahrung stellt sich schließlich auch erst nach einer Kette von Selbstwirksamkeitserlebnissen ein. Nachdem man für sich oft genug Selbstwirksamkeit erlebt hat, das je positive Erleben auf den eigenen Konto hat gutschreiben können, beginnt man von den Zinsen zu leben. Man kann auf das selbstwirksame Erleben in der neuen Situation sozusagen zurückgreifen und mit dem Selbstbewusstsein des Gelingens auch diesen neuen Fall angehen. Das setzt jedoch voraus, dass die Kette eben nicht ständig zerschnitten wird, sich die Glieder so überhaupt nur zu einer fortreichenden Erfahrungskette verbinden können.

Das setzt ebenfalls voraus, dass man in förderlichen Situationen und Kontexten war und von ihnen zehren kann. Vier Wege führen laut dem Psychologen Albert Bandura zur Selbstwirksamkeit oder helfen diese aufzubauen:

  • 1. eigene Erfolgserfahrungen (mastery experience)
  • 2. stellvertretende Erfahrungen (vicarious experience), z.B. durch Beobachtung
  • 3. Äußerungen von Anderen, die suggerieren die Person könne eine bestimmte Handlung ausführen (verbal persuasion)
  • 4. physiologischer oder affektiver Zustand vor oder bei der Bewältigung einer Erfahrung (physiological and affective states)
  • Erstens ist selbsterklärend;
  • zweitens setzt ein Vorbild voraus, um an und von diesem Modell zu lernen, wie man es gelingend macht;
  • drittens meint mehr und anderes als bloßes Feedback, das mehr verklärt und beschönigt statt produktiv zu kritisieren;
  • viertens macht den Unterschied zu erstens auf, dass es nicht nur eine kognitive / mentale, sondern auch körperliche Ebene der Selbstwirksamkeit gibt, bis zu der „hinab“ der Prozess durch- und einwirken muss bzw. sollte, um tief verankert zu sein.

Mangelt es nun an derart förderlichen Situationen, in denen man auch nur eine dieser vier Wege proaktiv oder interpassiv beschreiten kann, bleibt die Selbstwirksamkeit aus, fehlt es am psychophysischen Eindruck, dass etwas gelingen kann. Etwas, das von dir selbst ausgeht, durch dich bewirkt worden ist. Und – ich komme auf den Anfang zurück – ohne derlei Positives kann man kein Good dem Konto gutschreiben, kann man erst gar nicht ein Good erkennen, selbst wenn es einem widerfahren ist. Genauer gesagt: bloße Widerfahrnisse, die einem passiv passieren, zählen dann immer weniger und irgendwann gar nicht mehr. Obwohl – mit Positiver Psychologie gesprochen – man doch die Dinge und vor allem die guten so nehmen muss, wie sie kommen. Ob gut oder gut, Hauptsache gut, doch eigentlich egal ob selber bewirkt oder von außen an einen herangetragen.

Eigentlich… Denn dieses „Passieren“, geschieht mit einem, von dem ist man voll und ganz abhängig, kann es – erst recht mangels Selbstwirksamkeitserfahrung – nicht mit sich in Verbindung setzen, auf sich beziehen. Es ist dann ja bloß zufälligerweise angelegentlich auch mal gut, ohne dass eigene Einflussnahme hier irgendetwas gelenkt hätte. Man ist dann zunehmend der unbeeinflussbar erlebten Umwelt ausgesetzt, ja ausgeliefert. Es passiert jenseits von einer, man ist nicht aktiver, involvierter Teil dessen, nicht integral fürs Zustandekommen; nur dabei statt mittendrin!

Nochmal wissenschaftlicher formuliert – und zwar mit den sog. „Prozessstrukturen des Lebenslaufs“, die Fritz Schütze mit Narrativen Interviews destilliert hat. Die methode des Narrativen Interviews ist Teil der Biografieforschung. Hier sollen die Interviewten ausführlich entlang ihrer Biografie erzählen, ohne dass es lenkende und einschränkende Fragen seitens der Interviewenden gäbe. Bei der Auswertung lassen sich dann bestimmte Erzählmuster ausmachen, die sich mit je individuellem Inhalt gefüllt in so ziemlich allen Interviews aufeinanderfolgend wiederfinden. Das sind dann die besagten Prozessstrukturen:

  • Institutionelle Ablauf- und Erwartungsmuster: Schule, Universität, Berufsausbildung sind die klassischen hier gemeinten Institutionen, die Abläufe vorgeben und Erwartungen an das Individuum stellen. Durch diese Institutionen muss man hindurch, an denen muss man sich messen lassen und mit den Ergebnissen muss man biografisch fertig werden.
  • Handlungsmuster/Handlungsschemata: kurz gesagt, sind Handlungsmuster biografische Zeiten des gelingenden Handelns, in denen man ziemlich problemlos die obigen fünf Goods zusammenbekommt, um gelegentliche Bads locker wegstecken zu können. In Handlungsmuster-Zeiten erntet man Selbstwirksamkeiten im Plural so üppig und reichlich, dass man sich Besseres als Goldketten um den Hals hängen kann.
  • Verlaufskurven: Wenn man sich biografisch verlaufen hat, aus der Kurve geraten ist und das Dasein zum Erleidensprozess wird. Wenn man partout nicht auf 5 kompensierende Goods kommt, da man von Bads umzingelt scheint. Wird die Brust inmitten von Handlungsmustern immer breiter, strafft sich die Haltung und leuchten die Augen nur so vor proaktiver Begeisterung, dunkelt sich hier alles ab, wird verschattet und zwielichtig. Man passiviert und wird zum Spielball anderer, deren Regeln man nicht halb so gut kennt und beherrscht. Aus dem handlungsgelingenden Ich-Subjekt wird ein Objekt der Geschehnisse. Oder alles fühlt sich zumindets so an.
  • Wandlungsprozesse: der Vollständigkeit diese noch erwähnt, die zwischen den drei genannten Zuständen einen Wechsel herbeiführen. Prozesse, in die man freilich verwickelt ist, sei es, weil man endlich dank vermittelter Selbstwirksamkeit doch noch aus der Verlaufskurve emporgestiegen kommt; sei es, weil man gegenläufig das Handeln verlernt (bekommt) und aus den lichten Höhen des Gelingens in die verfinsterten Täler des Misslingens gerät. Von da nach dort führt der Wandlungsprozess durch eine Statuspassage vor der biografisch ausstaffierten Kulisse erstgenannter „institutioneller Ablauf- und Erwartungsmuster“. Ja …, in Schule, Studium oder Ausbildung kann viel gelingen oder misslingen und die Biografie in diese oder jene Richtung wenden.

Ach und in Statuspassagen, die einen Wandlungsprozess verheißen (also vom Schlechteren zum Besseren zu führen scheinen), kann man selbstredend steckenbleiben. Dann wird die Passage zur unwohnlichen Wohnstatt, in der man sich notgedrungen einrichten muss. Das sind dann die schlimmsten Höllen, weil sie aufwärts ins Licht wiesen, dem man sich dennoch nicht (weiter) annähern kann, obwohl man sich extra auf den Weg gemacht hat. Wie es Alaska Saedelaere mal so trefflich sagte, wenn auch in maximal anderem Zusammenhang: „Es ist dunkler, wenn ein Stern erlischt, als wenn er nie geleuchtet hätte.“ Wer das – rein metaphorisch gemeinte – Sternenlicht nie sah, kennt und weiß nicht, wie sich eine lichte Welt anfühlt. Wer sie schon erblickte und weiß, was da schwindet, kann es vermissen.

Ich suche dann mal Goods – irgendwo muss es sie ja geben.

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Ein Kommentar zu „Dark side of life – Verlaufskurven und Depression

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