In a hole in the ground there lived a hobbit

Mae govannen mellyn!

Die Straße gleitet fort und fort,
weg von der Tür, wo sie begann,
weit über Land, von Ort zu Ort,
ich folge ihr, so gut ich kann,
ihr lauf’ ich raschen Fußes nach,
bis sie sich groß und breit verflicht’
mit Weg und Wagnis tausendfach.
Und wohin dann? Ich weiß es nicht.
Die Straße in The Road Goes Ever On

Doch bedenke: „Es ist eine gefährliche Angelegenheit[…], wenn du zur Tür hinausgehst. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße achtest, so kannst du nicht wissen, wohin sie dich tragen.“Gandalf zu Frodo in Die Gefährten

Alles beginnt einmal und führt über die Wege des Daseins drüber und drunter hinweg, führt an Schwellen geduldigen Sitzens und in Fässer rasanter Reisen, führt hin und zurück zu sich selbst auf der eigenen Heldenreise!

So geschehen, so begonnen heute vor 85 Jahren, am 21.09.1937: Bilbo Beutlin, seines Zeichens wohlgesittet spießbürgerlicher Krämer, „bloß ein Krämer“ seiner Erbschaft, den es in die Unweiten der Welt hinausführte, der hinausgeführt wurde, gedrängt förmlich. Einer, der nicht gegangen wäre, wäre er nicht gegangen worden; hätte er sich nicht dem sozialen Druck einer dreizehnköpfigen Zwergengruppe und dem gnadenlosen Urteil eines Zauberers beugen müssen. Ein so unscheinbarer Zeitgenosse, dass das Werden der Welt an ihm vorbeigewoben worden wäre, wäre er nicht schon vorab als Meisterdieb wider Willen in den Strom der Geschehnisse hineingesogen worden.

In a hole in the ground there lived a hobbit

Als sich diesseits der realen Welt langsam die dunklen Wolken über Europa aufzutürmen begannen, begann mit dem Erscheinen einer wundervollen Kindergeschichte am besagten 21.09.1937 eine Anderswelt zu existieren, die bis heute nichts von ihrem Zauber verloren hat. An diesem Tag vor 85 Jahren ist im britischen Verlag Allen & Unwin ein Buch herausgebracht worden, dessen erste 1500 Exemplare bereits innerhalb von nur drei Monaten ausverkauft waren und das noch viele weitere Auflagen und Medienadaptionen erleben sollte. The Hobbit or There and Back Again, in deutscher gekürzter Erstübersetzung Der kleine HobbitTobias Altehenger erinnert an diese Zeitenwende der Literatur im WDR-ZeitZeichen! Damit wuchs ein Kinderbuch als „Spitze eines Eisberges“ aus dem Ozean der phantastischen Gedanken empor, die ein da bereits 45-jähriger Professor schon lange ersonnen hatte. Zuerst seine, ab diesem Tag dann alle Kinder konnten eine Welt betreten, die größer und tiefer war, als die Schwarz auf Weißen Zeilen des Buches dokumentierten; eine Welt so vielschichtig, so weit verzweigt durch Raum und Zeit, wie es sie bis dahin – und nur noch selten seither – nicht gegeben hat. Eine Welt, die Schritt um Schritt wächst und größer wird, nachdem „Mister Beutlin“ einmal den strubbeligen Haarfuß aus der Tür auf die Straße gesetzt hat, die ihn in unbekannte Lande über Berge hinweg und drunter hindurch führen sollte. Und uns, als wären wir einer der 13 Zwerge, stets dabei, an Bilbos Seite.

Zwar inzwischen um stolze zwei Jahrzehnte hintan, werfen Königs Erläuterungen zu Der Hobbit einige Schlaglichter auf Aufbau, Figuren(konstellationen) & Co., die lesenswert prägnant gehalten sind. Ein Zauberer, der die meiste Zeit zwar weg ist und gar nicht da, aber dennoch nie zu spät kommt; ein Hautwechsler, der gruselt und zeitweise ein bisschen Angst macht, am Ende aber mit dem Herz am rechten Fleck den Freunden zur Hilfe eilt; kapuzenbunte Zwerge, die doch stets eigensinnig sind und bleiben, vom Glanz des Schatzes mitunter geblendet sind, trotzdem nicht den entscheidenen Moment verpassen. Steintrolle, Hochelben, Waldelben, Seemenschen, grausame Waldspinnen, Höhlenorks, himmelverfinsternde Fledermäuse, wilde Warge, Heere einander grimmer Lebewesen – entlang der Straße treffen wir auf so viele Gestalten, begegnen wir einer so vielgestaltig ausstaffierten Welt, dass man gleich einem kleinen Hobbit kaum je aus dem Staunen kommt. Und vielen begegnen wir ein zweites Mal, sie bleiben nicht zurück, sondern fordern erneut ihre Aufmerksamkeit. Man weiß also nicht nur, wohin der nächste Schritt auf der Straße führt, sondern auch nicht, wer flinken Fußes einem folgen mag.

Klangliche Einbettung

Doch zurück zum ZeitZeichen, das uns – mich in jedem Falle – so gut abholt und an die Seite Bilbos verzaubert. Der Stimme und Sprechweise nach hätte ich einen Klumpen Mithril wetten können, dass Tobias Altehenger gar nicht er, sondern vielmehr Malte Hemmerich wäre, der er aber nicht ist. Malte ist Stimme bei SWR Score Snacks, wo er Film- und Serienmusiken seziert und auf ihre Leitmotivik Ton für Ton abklopft. So hört man gleich ganz anders hin und selbst als Musikbanause sogar mehr als zuvor raus. Malte hat bisher sowohl das Hobbit-Motiv als auch das Ring-Motiv unter das Hörgerät gelegt. Beide Motive hören wir auch im ZeitZeichen. Die flinke Leichtigkeit der Hobbits, mit dieser Beschwingtheit der naiv gute Bilbo sein Abenteuer beginnt. Demgegenüber die tontiefe Gewichtigkeit, die der magische Ring in Der Hobbit zugegeben an keiner Stelle schon erlangt, an der erst Neffe Frodo viele Jahrzehnte später schwer wird tragen müssen. Es ist schon erstaun-, noch mehr aber erfreulich, dass und wie sehr diese beiden Tonfolgen ganze Welten erwecken, filmreife und buchtiefe Assoziationen ausgraben wie Zwerge Mithril.

Doch Tobias, also der ZeitZeichen-Kreateur, zieht noch mehr Register, erweist sich noch mehr als wohlgekämmter Haarfüßler: Herrliche Einspieler des vierteiligen, 270-minütigen WDR-Hörspiels aus dem Jahre 1980, aus dem wir allen voran „Mister Beutlin“ aka Horst Bollmann hören! :)) Wer die Filme im Kopf hat, kann sie damit therapieren! Und wer die Filme nicht im Kopf hat, kann ein großartiges Kinder-Hörspiel in die Rübe bekommen, das allerdings noch auf alte Art und Weise intoniert. So wird zum Beispiel Unwetter, in das sie auf dem nebelgebirge geraten, orchestral wiedergegeben, gibt es keine realistische Akustik echter Tonproben. Auch ist das Hörspiel so gar nicht dramatisiert wie die Film-Trilogie, geschweige denn vorlagenfern überfrachtet.

Doch drei Zugeständnisse an die Hobbit-Filme macht Tobias: So hören wir den Zwergengesang über die „Misty Mountains“, den Filmtrack zum Film sowie – natürlich – Gollum, der seeiiinen Schaaatz inbrünstig anbetet. Da alle Tonbeispiele auf Deutsch sind, hören wir hier dann auch Andreas Fröhlichs geniale Intonierung, die so gar nichts mehr mit Recherche und Archiv Bob Andrews zu tun hat;-) Im Hobbit- wie im 30-teiligen Herr der Ringe-Hörspiel wird Gollum hingegen von Jürgen von Manger gluckzend und grummelnd in Töne gesetzt. Hier klingt Gollum vielmehr wie ein großes, grimmes Monster, so viel stärker als die kleinen Hobbits und daher ungemein gefährlich – und zunehmend in sich zwiegespalten. Gollum, der Mann. Rückhörend die vielleicht unpassendste Besetzung, was ex post gehört natürlich unfair ist.

Und so weiter! Und so fort! Mit all diesen Anspielungen und Einspielern schafft es Tobias, als wäre er doch Malte, dank der ausgewählten Melodien, der raren Hörsequenzen die ganze Geschichte in bloß 14 Minuten aufziehen zu lassen. Und dazwischen immer wieder und eindrücklich wiederholt der chöpfer dieser Welt – J. R. R. Tolkien, der mit einem so unscheinbaren Satz wie ein Hobbit Mittelerde wie eine detaillierte Karte entfaltete: In a hole in the ground there lived a hobbit! Braucht es mehr?

Die Folgen

Die Folgen waren folgenreich, wenn man so will. Der Hobbit musste dann zwar zumeist zurücktreten, ins zweite Glied rutschen, wurde wie durch Gwaihir überflügelt, als nicht die Adler kamen, sondern Der Herr der Ringe erschien und endgültig die Fundamente der Phantastik erschütterte. Selbst ein literarischer Massenmörder beruft sich auf Tolkien, was diesen gewiss irritiert hätte, wie er erstaunt vom Ruhm seiner nichtprofessoralen Tätigkeit war.

“Und dann stirbt Gandalf! Ich kann nicht erklären, was für eine Auswirkung auf mich hatte, als ich 13 Jahre alt war. Man kann Gandalf nicht töten. Ich meine, Conan ist auch nicht in den Conan-Büchern gestorben, oder? Tolkien hat diese Regel gebrochen, und dafür werde ich ihn für immer lieben. Sobald man Gandalf tötet, ist die Spannung für alles, was folgt, tausend Mal höher, denn jetzt könnte jeder streben. Selbstverständlich hatte das tiefe Auswirkungen auf meine eigene Bereitschaft, Figuren im Handumdrehen zu töten.”
Zitat von G. R. R. Martin, zitiert nach Robots & Dragons

Nicht Boromirs Tod, heldenhaft am Ende für die Gruppe einstehend, sondern Gandalfs – doch nur zeitweises – Abtreten von der Bühne soll schuld für die inzestuös-soziozidalen Verhältnisse in Westeros sein? Und das nur, weil ein Hobbit sich eine Höhle grub, ein Loch in der Erde?

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Ein Kommentar zu „In a hole in the ground there lived a hobbit

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