Radikale Intelligenz – Intelligenz des Radikalen

Hallo Mitwelt!

Heute ein assoziativer Einwurf nach Lektüre eines – leider in der käuflichen Trutzburg eingemauerten – SZ-Artikels: „Kluger Kopf, dummer Gedanke“. Autor ist Sebastian Herrmann, dessen Psychologie-Beiträge größtenteils nur SZplus zugänglich sind. Doch worum geht es und wie kann es sein, wenn der ganze Kopf klug sein soll, dass in ihm dumme Gedanken spuken?

Intelligenz scheint extreme politische Positionen zu begünstigen – selbst wenn diese manchmal etwas unterkomplex wirken. Wie kommt das?
Zu den in weiten Kreisen beliebten Breitband-Bösewichten zählt „der Kapitalismus“. Dieser Wirtschaftsordnung verpassen viele laut meinende Menschen den Stempel des Grundübels der Gegenwart. Zwar wird in den entsprechenden Äußerungen kaum je spezifiziert, was mit „der Kapitalismus“ genau gemeint ist, aber das hält niemanden von lautem Wortkrawall ab. Man floskelt sich halt so durch den Zeitgeist und raunt von „kapitalistischen Strukturen“, die Sexismus, Rassismus, Umweltzerstörung, Populismus, Kriege und alles übrige Blöde dieser Zeit mindestens begünstigen.Sebastian Herrmann im SZ plus-Artikel

Dem zugrunde liegt die Studie in Intelligence (Volume 95): „Sophisticated deviants: Intelligence and radical economic attitudes“. Das Ergebnis ist demnach, dass in signifikanter Tendenz ein Mehr an Intelligenz mit radikaleren Ansichten einhergeht und die Träger*innen dieses Leidens verstärkt -ismus-Ideologien (Kommunismus, Neo-/Liberalismus, Faschismus, … usw.) zuneigen. Die britische Studie, in die 13.000 Proband*innen einbezogen wurden, fokussierte sich speziell jedoch auf wirtschaftspolitische Ansichten und deren Korrelation mit sich ballender Intelligenz im Oberstübchen. Daher der zitierte Bezug auf den Kapitalismus, gegen den sich dann mit allen Mitteln der Intelligenz konfrontiert wird. Das gelte interessanterweise in beide (politischen) Richtungen, verschont weder linke noch rechte Intelligentia.

Eine weitere – nicht gelinkte – Studie wird referiert, die einen gleichförmigen Zusammenhang zwischen Intelligenz und der Einnahme radikaler Positionen zur Coronapandemie diagnostiziert. Faustformel auch hierbei: je intelligenter, desto gestrenger, unnachgiebiger, sprich radikaler wird die Position des eigenen Lagers vertreten und ausgelegt. Je intelligenter, desto weniger moderat steht man pro oder contra Coronamaßnahmen ein, versteht vielmehr alle Argumente für die eigene Sichtweise zu vereinseitigen. Es geht dabei also ausdrücklich nicht um Verquergedachte mit ihrer radikalen Lesart, sondern schließe genauso vehemente Befürworter einer jeden Coronamaßnahme zugunsten der Sicherheit ein. Das muss sich dann nicht unbedingt von links nach rechts aufspannen, sondern dürfte sich charakterlich verankern und durch habituelle Dispositionen speisen. Wer beispielsweise introvertierter als extravertiert ist und eventuell auch noch gewissenhaft, wird mit Bedacht vorsichtshalber pro Coronamaßnahmen sein und würde, so diese Studienlage, eher entschiedener bis radikal dafür eintreten, je intelligenter so eine Person ist. Oder wenn als Intro keine nach außen hin entschiedene Meinung kundgetan wird, denkt man sie sich dennoch still und heimlich und bedenkt maßnahmenschlampige Mitmenschen radikal kritisch. Mit „habituellen Dispositionen“ ist soziologisch sperrig gemeint, dass wir alle sozial geprägt sind. Das üblicherweise bereits vom Elternhaus her, wo wir in elterlicher Primärsozialisation fürs Leben mehr mit- und in den Rucksack gepackt bekommen haben, als wir meist gerne hätten; und das auch noch vermittelt, als wir als Kleinkinder noch voll und ganz im Bann dieser alleswissenden Erwachsenen standen und es geprägsam so hinnahmen, es für die Wahrheit über die Welt hielten. Und diese „lange Leine“ erweist sich dann immer mal wieder im Leben, wenn sie den Radius dessen umkreist, was unsere Prägungen =habituelle Dispositionen sind. Nochmal anders: Habituelle Dispositionen sind die kindheitlichen Langzeitnachwirkungen, die uns nach oftmals nicht bewussten Mustern handeln lassen.

Zurück zu den Studienergebnissen: Kognitive Befähigung in messbarer Form der Intelligenz scheint demnach Radikalität zu befördern bzw. diesen Personen dazu zu verhelfen, ihren Anliegen und Standpunkten auf radikal(er)e Weise Ausdruck zu verleihen. Und wenn dann innere Intelligenz noch mit verbalem Mundwerk eine konspirative Affäre eingeht, vermögen sich derart intelligente Menschen auch noch an ihren Worten aus dem Sumpf des S(t)umpfsinns zu ziehen. Sozialpsychologisch vermögen sie durch intelligent eingesetzte Rhetorik ihr Umfeld mehr als andere auf ihre Ansichten und so über die Maßen auf die außenseitig(er)en Perspektiven aufmerksam zu machen. Hierin läge dann wohl auch EIN Grund, wieso die radikalisierteren Ränder sich kommunikativ größer zu machen verstehen, als sie anteilig sind – weil in ihren Reihen verstärkt die dafür nötige Intelligenz ansässig ist, um diese Klaviatur zielführend zu bespielen.

Nehmen wir das mal so hin, setzen das als Axiom (so sei es), dann …

Soziale Zentrifugalkraft der Intelligenz

Dann stellt sich mir die soziologische Folgefrage, was dieser Befund über Einzelne, die mithilfe ihrer Intelligenz (tendenziell!) zum Radikalen und ins Extreme neigen, hinaus für die Gesellschaft bedeutet. Wir haben also zwei (oder gar mehr?) Pole des Radikalen, der Extreme und dazwischen aufgespannt eine Mitte, die sich sowieso immer als „die (eine) Mitte“ versteht und ihrerseits genauso gegenüber ihren Außenseiten verabsolutiert. DIE Linke – DIE Rechte – DIE Mitte! Wobei mir das auch schon zu politisiert althergebracht benannt wäre und Falsches assoziieren lässt. Gesellschaft ist nicht bloß linear von links nach rechts – mit einer Ausbeulung in der Mitte – begreifbar, müsste vielmehr sozialstrukturiert dreidimensional gedacht werden. Der Einfachheit halber imaginiere ich zweidimensional eine scheibenförmige Gesellschaft mit der sog. „Mitte“ im Zentrum, deren extreme Ränder in 360° ringsherum zu finden sein können. Extrem ist demnach, was aus einer angenommenen Mitte heraus kontrastfern ist. Und da sich i.a.R. kaum wer für extrem und radikal hält, sondern stets besonnen und mit Gründen, gibt es demnach viele Mittel-Punkte (im Plural). Inmitten der Gesellschaftsscheibe, die die Welt bedeutet, ist also eine vielpunktige Mitte-Fläche, wo sich die meisten wiederfinden (wollen). Niemand hat die Absicht, radikal zu sein…

Ich habe dieses Bild auch deshalb gewählt, so wenig es üblichen Darstellungsweisen gesellschaftlicher Sozialstruktur entspricht, um im Folgenden meine Assoziation über die Wirkkraft der Intelligenz besser veranschaulichen zu können. Denn wenn, wie die Studien gemäß Sebastian Herrmann nahelegen, der Intelligenz eine Kraft zur „Polarisierungsbeschleunigung“ innewohnt, wünschte man sich Homo sapiens freilich (NOCH!) dümmer. Wenn angelegentliche Intelligenzinfektionen bei Homo sapiens bewirken, dass er vermehrt zum extremen Radikalisieren neigt, wirkt Intelligenz innergesellschaftlich als Zentrifugalkraft. Intelligenz soll also eine solche soziale Kraft meinen, die ein relativ homogenes, relativ ruhendes Zentrum wirkmächtig in Rotation versetzt und so dafür sorgt, dass bisherige Bestandteile aus diesem Zentrum hinausfliehen und sich nunmehr heterogen rings um das Zentrum anlagern. Intelligenz als der „Treibstoff“ für eine gesellschaftliche Zentrifuge, die die Trägheit des Gesellschaftssystems aufmischt und in (kreisende) Bewegung versetzt.

Daher Gesellschaft außergewöhnlich als Scheibe gedacht und konzipiert, da aus ihrem trägen Inneren die Intelligenz nach außen drängen und drücken lässt und – prinzipiell gleichermaßen in alle Richtungen – so für eine nach außen hin immer schnellere Drehbewegung sorgt. Scheint Gesellschaft in ihrem Zentrum konservativ bewahrungsträge, dreht sie sich zu den Rändern hin intelligenzgetrieben immer schneller und scheint vom zentralen Standpunkt aus gar zu überdrehen. Intelligenzverursacht teilt sich eine zentrifugierte Gesellschaft in mehrere umeinander gelegte Ringe, die nach außen an Eigengeschwindigkeit zulegen. Analog zu nebeneinander liegenden Rollbändern mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wo von Nachbarband zu Nachbarband das Tempo anzieht, erhöht sich das gesellschaftliche Tempo vom Gesellschaftskern aus ringweise.[1]

Intelligente Ränder – und die Mitte?

Obiger Artikel hinterfragt also kritisch das Loblied auf die Intelligenz, wenn aus ihr zunächst einmal Extremes und Radikales erwächst und noch lange nichts Gutes. Dabei bleibt die Perspektive für meinen Geschmack zu sehr ins Links-Rechts-Schema gezwängt, das die Gesellschaft allzu sehr auf den (eindimensionalisierten) Strich schickt. Sollte man denn dann keinen Argwohn gegen diese Intelligenz entwickeln, wenn sie übermäßig nach links und rechts abkippt? Aber was sagt es denn über die Mitte aus, wenn aus ihr die Intelligenz nach außen hin abwandert? Ist die oder irgendeine Mitte dann nicht immer einem kontinuierlichen Braindrain und einem Strudel der Mittelmäßigkeit ausgesetzt? Ja, sollte die Mitte sich dann nicht auf sich besinnen, statt über die intelligenten Ränder zu spotten, derweil sie nämlich verdummt?

Solange die Mitte, was der Usus ist, das Gros der Gesellschaft ausmacht, wird sich in ihr in absoluten Zahlen auch das Gros der Intelligenz finden – trotz aller Zentrifugalkräftigkeit auch weiterhin. Aber während sie auszudünnen droht, Intelligenz stets zu den Seiten ausweicht, ist der Anteil an Intelligenz in der Mitte gegenüber den Rändern geringer. Am Rand potenziert sich die Intelligenz auf, ballt sich an, lagert sich an, während sie in der Mitte ausgewaschen wird. Wie Goldgräber, die in Flüssen nach Gold waschen, von den Flussrändern aus schöpfen und dort das Gold anhäufen, braucht der Fluss wie die Gesellschaftsmitte einen steten Nachstrom an Gold oder Intelligenz.

Das wäre dann quasi ein antigravitativer Effekt, wo sich eben nicht automatisch im Zentrum (der sozialen Mitte) die Intelligenz durch ihresgleichen angezogen ballt, sondern vielmehr wie bei elektromagnetischer Kraft es zu gegenpoligen Abstoßungen und in ihrer Folge zu Umverteilungen kommt. Doch was kann dann die Mitte machen, nicht ganz zu verblöden, nicht aller Intelligenz verlustig zu gehen, trotz aller Fliehkräfte genug bei sich zu behalten?

Die gemäßigte Gesellschaftsmitte muss – soziologisch gedacht – die potenziellen Intelligenzträger*innen für sich gewinnen, auf Lebenslaufbahnen einlenken, die im gesellschaftlichen Kernbereich angesiedelt sind. Es bedarf also einer Sogkraft, die der Fliehkraft entgegenzuwirken vermag. Altgedient (deshalb aber nicht notwendig wohlgedient) bildet die Gesellschaftsmitte dafür Organisationen aus, die mit dem ganz formalen Wahnsinn der Intelligenz umzugehen verstehen, gleich einem Dompteur das wilde Raubtier zu bändigen vermögen. Schule ihr Name! Eine DER Institutionen schlechthin entlang der Prozessstrukturen des individuellen Lebenslaufs! Diese wie andere Institutionen setzen „Ablauf- und Erwartungsmuster“, die die ungestüme Intelligenz in sozial verträgliche Bahnen (nahe am Zentrum) führen soll. Und wenn es gelingt, die Intelligenzträger*innen quasi küstennah schippern und stets in Landsicht ankern zu lassen, wäre aus der Eigenlogik der Gesellschaftsmitte heraus Gewinn eingestrichen. Wenn, ja wenn nach solcher Plankensetzung die Intelligenzträger*innen ins Fahrwasser gelingender Handlungsmuster gelangen, ist der Kurs gesetzt! Denn dann profitiert selbst die hinausdrängende Intelligenz zu sehr von alledem, das es im „Gewässer der Mitte“ zu fischen gibt, um das gefahrvolle Wagnis einer Hochseefahrt ins Unbekannte bereitwillig einzugehen. Wenn allerdings der Profit nicht im Sinn der Mitte lockt, sondern der Ruf der Wildnis wie der Gesang der Sirenen lauter und deutlicher zu vernehmen ist, werden doch die Segel gehisst. Denn den Horizont verkennen ja selbst Landratten nicht, auch wenn sie ihm nicht ständig nachstreben.

Verdummung durch Intelligenz?

Der Metaphern gibt es gewiss noch viele, die die Prozesse veranschaulichen helfen. Was bisher unhinterfragt blieb, ist die Intelligenz selber. Was ist sie eigentlich und wenn ja, wie viele? Notfalls immer das, was man misst und mit dem IQ messgenau festhalten zu können hofft. Dass man von multiplen Intelligenzen im Plural sprechen müsste, kennen alle Lesenden von Büchern Daniel Golemans. Der popularisierte über das Abstraktum des IQ hinaus noch den EQ als emotionale Intelligenz, aber auch eine soziale sowie ökologische Intelligenz. An letzterer mangelt es nachweislich, wobei sich solcherlei Intelligenz auch – den Anteilen nach – irgendwo am Rand der Gesellschaft im vergleichsweise Extremen angesammelt hat. Von Sonntagsreden und Vorzeigeprojekten abgesehen, ist diese Art der weltbezogenen Intelligenz noch längst nicht salonfähig – trotz sich verschärfender Notwendigkeiten. Was wiederum mutmaßen lässt, dass Intelligenz (welcher Unterart auch immer) ein prinzipiell rares Gut ist, sich nicht situativ notwendig oder/und sozial erwünscht vermehren lässt. Es will vielmehr gehegt und gepflegt werden, kann nämlich auch kläglich verkümmern und sich verflüchtigen. Intelligenz ist also eine ephemere Sache, so sehr sie zu einem gewissen Anteil angeboren und demnach genetisch verankert sein mag. Die besten Intelligenz-Gene taugen nichts, wenn sie durch ihre soziale Umwelt nicht epigenetisch aktiviert werden und angeschaltet bleiben. In den abgeschatteten Tälern von Verlaufskurven verdunkelt sich noch jede Leuchte.

Die Risiken und Nebenwirkungen von Intelligenz, die die auf sichere Beständigkeit des routinierten Weiter-So getrimmte Gesellschaft aufzumischen, sind in jedem Fall betrachtenswert. Soziologisch erstaunt der Befund im Übrigen nicht wirklich. Bedenkt man die vier Dimensionen sozialen Handelns im Sinne von Max Weber: „Soziales Handeln […] soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ Die vier Dimensionen beschreiben dann die sinngemäße Motivlage, wieso und wozu man sozial handelt: zweckrationale, wertrationale, affektuelle oder/und traditionelle Motive sind hier optional.

In diesen übergroßen Fußstapfen dieser Nominaldefinition lässt sich ein modern ausgedrücktes Motivensemble festmachen:

  • Traditionelles Handeln (traditionelle Motive), demnach man in der Gegenwart so handelt, wie man den überlieferten Traditionen gemäß immer schon gehandelt hat;
  • Routinehandeln (in etwa: wertrationale Motive), demnach man ein festgesetztes Handlungsmuster – routiniert – gegenwärtig beharrlich beibehält, nachdem man es sich einmal angeeignet hat;
  • emotionales Handeln (affektuelle Motive), demnach man aus der Emotion heraus situativ handelt, sich die Handlung emotional Bahn bricht;
  • Entscheidungshandeln (zweckrationale Motive), demnach man in der Gegenwart im Sinne der Zukunft, auf diese hin handelt, um im Jetzt hinkünftig etwas in Gang zu setzen und in die Wege zu leiten.

Traditions- und Routinehandeln speisen sich aus der Vergangenheit und wirken von dort in die Gegenwart hinein, in der man sich nicht stets aufs Neue damit befassen und abplagen muss, ob und wie man denn nun hier und jetzt handeln sollte. Man macht es so, wie es zuvorig schon festgelegt worden ist – im Falle der Traditionen den Gründen nach verunklarter als bei Routinen, die besserenfalls aus guten Gründen einst etabliert wurden. Emotionales Handeln ist in der Gegenwart gefangen und lässt sich so recht erst nachvollziehen, nachdem es vergangen ist und man sich wieder beruhigt dem Handeln zuwenden kann. Demgegenüber ist alleinig das Entscheidungshandeln nicht aus der Vergangenheit genährt oder der Gegenwart verpflichtet, sondern richtet sich an die Zukunft. Man betritt mit einer Entscheidung Neuland, weicht von den Pfaden eingeübter, altbekannter, ja vertrauter Tradition und Routine ab; kann sich nicht in der Gegenwart verlieren und nur kurzsichtig den Tag leben. Entscheidungshandeln verlangt mehr ab, nämlich die zweckrationale Beschäftigung mit dem Umständen, der Gewahrwerdung von Zielen und Zwecken und der aufzulösenden Frage, wohin man denn aus dem Jetzt hinkünftig gelangen will. Lange Rede, relevanter Punkt: Laut Uwe Schimanks Zeitdiagnose (von 2005) leben wir in einer Entscheidungsgesellschaft, in der der Subtyp des Entscheidungshandeln mehr denn je die Oberhand gewonnen hat und das soziale Handeln dominiert. Ergo wird öfter denn je innerhalb der Gesellschaft das traditionelle sowie routinierte Handlungsgefüge durch zunehmende Entscheidungen gestört und aufgebrochen. Und zwecks Entscheiden ist vielleicht nicht unabdingbar, aber hilfreich und nützlich: Intelligenz! Intelligenz, um sich der Umstände, der kontextuellen (Neben-)Bedingungen bewusst zu werden, die die Entscheidung beeinflussen.

Und wenn die Beobachtung stimmt, dass die Gesellschaftsmitte – dem Bild nach – weitgehend in sich ruht, dann herrscht in ihr Traditions- und in unseren Zeiten vor allem Routinehandeln vor. Und wer entscheiden will oder meint zu müssen, verlässt damit den „sicheren Hafen der Mitte“ und begibt sich auf den offenen Ozean der Zukunft, von der es keinerlei Karten gibt. Und dann bleibt nur der „Kompass der Intelligenz“. Und so verdichten sich Entscheidungshandeln, weg vom Etablierten, und Intelligenz als bester Ratgeber für die Ungewissheiten der Zukunft und drängen sich gemeinsam am Rande der bekannten Welt. Man muss an den Rand, um über den Tellerrand hinausblicken zu können, was an und für sich eine extreme Sache ist.

  • Die Gretchenfrage wäre, inwieweit die Intelligenz der Menschen als eine Art „Drehimpuls der Gesellschaft“ aufzufassen wäre. Das Problem ist nur, dass sich der Drehimpuls stets aus der Bezugnahme auf einen Massen(schwer)punkt berechnen lässt. Doch so sehr sich „die Mitte“ innerhalb einer Gesellschaft ihrer Zentralität gewiss ist, so wenig ist sie fest verortet, sondern kann sich in ihrer Masse (Quantität) sowie sozialstrukturell (Qualität) verschieben, gleicht also eher einem plattentektonischen Kontinent mit Driftgeschwindigkeit hier- oder dahin. Doch wenn der soziale Massenpunkt wandern kann, sich lokal verändert, verändert sich dadurch auch der Drehimpuls der gesamten Gesellschaft.

    In die Sterne geschaut, verkompliziert sich das Ganze sogar noch: denn während ein anständiges Sonnensystem noch mehr als genug Masse im Zentrum, der Sonne, ballt, worum sich dann artig die Planeten in seriösen Ellipsen drehen, können die Massen auch mal unanständig heterogen verteilt sein. So nämlich innerhalb einer Galaxis, die – im Falle der unsrigen Milchstraße – nicht absolut genug Masse präzise im Zentrum angesammelt hat trotz eines formidablen Schwarzen Loches, damit sich alle randständigen Sonnensysteme wie wohlerzogene Planeten ellipsensauber an die eine exakte Umlaufbahn halten. Anhörlicher in Sternengeschichten 503 über den „Weg der Erde durch das Universum“:

    Damit sind wir aber noch lange nicht durch. Denn auch die Sonne bewegt sich; durch die Milchstraße hindurch. Aber nicht so wie ein Planet um einen Stern herum. In erster Näherung kann man sich das durchaus so vorstellen; wenn man genauer hinschaut ist das Bild aber komplizierter. Denn in einem Planetensystem ist der absolut überwiegende Teil der Masse im zentralen Stern konzentriert; die Planeten sind alle viel, viel leichter und der Stern dominiert quasi die Bewegung alleine. Im Zentrum einer Galaxie wie unserer Milchstraße sitzt zwar auch immer ein sehr massereiches schwarzes Loch. Aber das ist bei weitem nicht so dominant. Die Milchstraße hat zum Beispiel ein schwarzes Loch mit einer Masse von circa 4 Millionen Sonnenmassen. Das ist viel – aber da sind ja noch circa 200 Milliarden Sterne, die zusammen, sehr vereinfacht gerechnet, dann auch 200 Milliarden Sonnenmassen haben. Und dann sind da noch die ganzen Gaswolken, der ganze Staub, die dunkle Materie, und so weiter. Und weil in einer Galaxie die Masse eben nicht im Zentrum konzentriert ist, folgen die Sterne auch keinen simplen Bahnen um das Zentrum herum. Die Sonne zum Beispiel bewegt sich zwar schon mehr oder weniger um das galaktische Zentrum herum. Ihre Bahn ist aber ein wenig wackelig, sie bewegt sich auch auf und ab, soll heißen, dass sie sich ein paar Millionen Jahre lang über der mittleren galaktischen Ebene bewegt, also der Ebene, in der sich die Spiralarme befinden und dann wieder ein paar Millionen Jahre lang darunter. Sie braucht ungefähr 240 Millionen Jahre für eine Runde und bewegt sich aktuell mit einer Geschwindigkeit von 792.000 km/h beziehungsweise mit 220 Kilometer pro Sekunde.Sternengeschichten-Erzähler in SG503

    Das sei als Einwand so ausführlich eingeworfen, weil sich sowohl in der Galaxis als auch einem Sonnensystem die Verhältnisse anders erweisen als in meiner proklamierten „Scheiben-Gesellschaft“: hier drehen sich die „Ringe der Intelligenz“ nach außen hin immer schneller, je mehr Intelligenz sich in ihnen abgelagert hat wie Sedimentgestein. Astronomisch ist es genau andersherum, da flitzt innerster Planet Merkur nur so flinkfüßig um die Sonne, während Neptun entschleunigt seine – zugegeben auch so viel länger gestreckte – Bahn zieht. Da braucht die unsrige Sonne (s.o.) Abermillionen Jahre für einen Umlauf ums galaktische Zentrum, während Sonnen, die nahe ans dortige Schwarze Loch geraten sind, zusehends beschleunigen, um irgendwann hinter den Ereignishorizont zu rasen. Dann: Singularität!

    Intelligenz ist demgegenüber eine Fliehkraft, die Tempo macht!

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