TLTR? 😛 Es geht um den lektürischen Stolperstein, dass in SF-Romanen i.a.R., nur allzu oft problemlos Austausch zwischen Flora und Fauna des einen mit denen des anderen Planeten möglich sind, was ich mangels gemeinsamer Evolution streng genommen unglaubwürdig finde. Statt eines gedeihlichen Miteinanders müsste es vielmehr andauernde Pandemien geben aufgrund artspringender Mikroben v.a. Viren, die die ungeimpften Neuankömmlinge nur dahinraffen lassen. Dem gehe ich nach!
Hallo Mitwelt!
Mal ein Unterbruch zu den ATLANTIS-Beobachtungen, obwohl vorgestern die Nr.04 der Miniserie als Hörbuch erschienen ist. Ums Eck und über Bande schließe ich aber doch dort an: In den Beobachtungen zu ATLANTIS 03, Kapitel 3 ging es um Protagonistin Caysey, eine sehr menschenähnliche Lemurer-Abkömmling von Larsaf III., hinkünftige Erde aka Terra. Im Strudel der Ereignisse nach Larsa (nachmaliger Venus) gelangt, gerät sie hier an die von Terranern sog. „Venusrobben“. Robbenanmutige Lungenatmer, die großteils aquatisch leben, dank der Lungen zeitweise aber auch an Land können. Verständige Kommunikation gelingt nur per Armband-Translator. Caysey wird von den psibegabten Wesen in ein indigenes Ritual buchstäblich hineingezogen, mit dem sie ultraempathischen ‚Robben‘ Caysey bzw. ihr Ungeborenes heilen wollen. Bei diesem waren zuvor mit arkonidischer Diagnosetechnik Gendefekte detektiert und Geburtsprobleme prognostiziert worden. Untechnisch erspüren die ‚Robben‘ all das und sind zu extraspeziesistischer Solidarität, man möchte sagen: Nächstenliebe gegengabenlos bereit. Die Atlanterin wird im Zuge dessen ins ‚Robben‘-Medium unter Wasser gezogen, wo sie beinahe erstickt wäre, und mit irgendeiner Art ‚Schleim‘ körperweit eingestrichen. Nach Ende des Rituals führt der Schleim, obwohl kurz darauf von Caysey wieder abgerieben, zu starken Hautrötungen, brennender Haut und anhaltenden Schmerzen. Doch während die Mutter schmerzhaft leidet, erfühlt sie erste Veränderungen in ihrem Körper, an ihrem Embryo. Das ist noch nicht erzählt, aber es steht in Aussicht, dass dieses extraterrestrische Ritual mit den besagten Nebenwirkungen an Caysey für ihr Kind überlebenshilfreich geworden sein wird.
Das umständlich nacherzählt, um klar zu haben: eine wunderbare Geschichte artübergreifender Hilfeleistung – im Grunde aus dem Nichts heraus, ohne dass Caysey noch so indirekt zuvor den ‚Venusrobben‘ geholfen hätte. Schön zu lesen! ABER: Zwei Planeten! Zwei Evolutionen! Zwei null und nichtig, noch so entwicklungsfern verwandte Arten gänzlich verschiedener Habitate! Wie kann, wie soll etwas für ‚Venusrobben‘ für die Geburt Gutes, dem Ritual nach anscheinend Arttypisches einer Artfremden helfen? Einfach so? Punktgenau? Mit nur ein paar letztlich oberflächlichen Irritationen und Reizungen, die innerlich aber präziser als arkonidische Medizinaltechnik wirken? Das lese ich gerne, kann ich aber biologisch nicht glauben!
Aurora-Effekt
Meine (über-)kritische Haltung ist gestempelt worden durch den meisterhaften Hard SF-Roman „Aurora“ von Kim Stanley Robinson, der mit dem Gros übernaiver Fremdwelten-Kolonisations-Romane aufräumt. Die titelgebende Welt Aurora, im 12 Lichtjahre entfernten Tau Ceti-System, ist Zielpunkt eines Generationenraumers, um dort eine menschliche Besiedlung anzustoßen. Ohne viel vom unbedingt zu Lesenden zu verraten: es gibt Probleme. Nanoskopische der Größe nach, wenn man so will, die aber fundamental, ja riesig sind. Es kollabiert – SPOILER – aufgrund von irgendetwas in der Art von Prionen – Kofferwort aus „protein infection“. Noch winziger, noch unlebendiger als Viren. Vielmehr organische Toxide, also Gifte mit infektiösen Eigenschaften. Ungesehen, unbemerkt, kaum auf Verdacht auch nur detektierbar, nur gezielt aufzufinden.
Die Wissenschaft hat diesen Roman bereits gewürdigt und spricht seither vom Aurora-Effekt. Dieser hilft verständlich zu machen, wieso es trotz immer mehr Exoplaneten einfach nicht von Aliens aus dem „cosmic zoo“ allerorten nur so wimmelt. Mensch bzw. Alien wird schlicht und ergreifend nicht vom indigenen Leben allzu herzlich willkommen geheißen, um sich kolonialherrlich am neuen Ort widerstandslos niederzulassen. Vielmehr kann schon das Allerkleinste im „Pandemischen Widerstand“ zur Verteidigung der Heimatwelt gegen vitale Übernahmen jedwede Kolonisierungsträume ‚abtöten‘.
Die Schritte der Argumentation vom „Fermi-Paradoxon“, dass alles alienlos geblieben ist, hin zum „Aurora-Effekt“ lauten so:
- Gemäß Berechnungen „vermag sich eine intelligente Spezies unter plausiblen Annahmen im Lauf von Jahrmilliarden durchaus über die gesamte Milchstraße auszubreiten – umso mehr, als die natürlichen Bewegungen der Sterne die Verbreitung auch noch fördern“
- Das macht einen fehlenden First Contact umso hinterfragwürdiger. Daher ist zu „vermuten, dass die Siedlungstätigkeit der diversen Aliens immer wieder erlahmt. Immerhin ist die interstellare Raumfahrt ungemein aufwändig und Zeit raubend, denn man braucht riesige Schiffe, die vielen aufeinander folgenden Generationen als Habitat dienen – während die Heimat sich möglicherweise unterdessen radikal wandelt und die Expedition buchstäblich vergisst.“ Robinsons „Aurora“-Roman hierfür auch ein lesenswertes Beispiel, wie viel von den Abgereisten vergessen wird und wie wenig man für sie noch übrig hat. Lem wie immer anzuführen und in Erinnerung zu halten: „Transfer“ aka „Die Rückkehr von den Sternen“
- „Deshalb bilden sich eher nur lokale Zivilisationsblasen, und offenbar liegt die Erde in keiner davon. Gebremst wird die Expansion zusätzlich dadurch, dass ein »habitabler« – lebensfreundlicher – Planet keineswegs auch besiedlungsfreundlich sein muss. Das nennen die Autoren den Aurora-Effekt, nach einem Roman des Sciencefiction-Autors Kim Stanley Robinson: Eine Expedition stößt auf einen belebten Planeten, dessen Organismen die Besucher mit tödlichen Krankheiten infizieren.“
Jede*r hat die Absicht, hierbei unbedingt an „Krieg der Welten“ zu denken, der einerseits militärisch hochtechnisiert, aber konventionell geführt, andererseits aber nur mit ‚biologischen Waffen‘ gewonnen wurde:
In diesem 1898 erschienenen, für die Science Fiction-Literatur grundlegenden Werk von H. G. Wells greifen Marsianer in dreibeinigen Kampfmaschinen das Vereinigte Königreich an, um von hier aus die rohstoff- und wasserreiche Erde zu erobern. Das irdische Militär ist den außerirdischen Invasoren hoffnungslos unterlegen und muss bei der Zerstörung der Städte zusehen. Erst die Bakterien der Erde können die Marsianer durch deren nicht angepasstes Immunsystem besiegen.
Krieg der Welten war als Satire auf die Kolonialpolitik des Empires angelegt und vertauschte hierzu die Rollen von Eroberern und Opfern zu Ungunsten der Briten. Ein zusätzlich böser Seitenhieb war die Tatsache, dass die primitivsten damals bekannten Lebensformen das britische Weltreich retteten.Wikipedia
Und gemäß „Aurora-Effekt“ ist allemal realistisch und daher anzunehmen, dass sich jede gaiatische Welt, auf und in der Leben mit planetarer Materie unauftrennbar verwoben ist, der Invasoren zu erwehren weiß! Das Kleinste vermag noch jeden invasiven Größenwahn zu überwältigen!
Ein perryversales Exemplum
Im Perryversum fällt mir hierzu folgender Fall ein: die Kolonistenabenteuer – fünf von 50 Romanen im zweiten Zyklus Atlan und Arkon (Hefte 50-99). Unter diesen speziell Nr. 62 „Die blauen zwerge“, der zweite und einzige wirkliche Roman des Quintetts über Entdeckung und Kolonisierung. In erschütternder Unbekümmertheit wird hier auf neuer Welt Gray Beast berührt, angefasst, gekostet, als könnte es kaum je was Giftiges geben und als gäbe es keine Unverträglichkeiten. Weil ein halbintelligentes Völkchen von affenanmutenden „Mungos“ zutraulich erscheint, sind diese auch sogleich Freunde und zum Kontakt freigegeben. Diesbezüglich ein nur zu unbedarftes, unwissenschaftliches Vorgehen. Bis hierhin erinnere ich den Roman als ungestüm gewollt und durch weitere Handlungsebenen auch überfrachtet. Der Roman hat aber eine – bei meiner Lese aber auch nur nachrangige – Handlungsebene, die sehr interessant ist: die auf dem Planeten Gray Beast gestrandeten Kolonisten werden von den Blauen Blattern heimgesucht, einer schweren Viruserkrankung, die innerhalb kürzester Zeit zum Tode führen kann. Mit allen antibiotischen Mitteln terranischer Medizin nicht aufzuhalten – Antibiotika wirken nur gegen Bakterien, höchstens hinauszuzögern.
Eine Heilung war nur mit einem Brei aus den zerkauten Blättern einer bestimmten auf Gray Beast heimischen Pflanzenart möglich. Der Brei entfaltete seine Wirkung nur, wenn er von den Mungos hergestellt wurde. Man ging davon aus, dass der Speichel dieser Wesen einen besonderen Wirkstoff enthielt. Wer den Brei zu sich nahm, war nach wenigen Stunden wieder wohlauf. Die Pusteln verschwanden.Perrypedia
Den heimischen Viren ungeschützt ausgeliefert, ohne Impfungen oder ähnliche Hilfsmittel an die invasive Mikrofauna des Planeten angepasst, wären die Kolonisten innerhalb sehr kurzer Zeit (nahezu?) vollständig an dieser indigenen Epidemie verstorben. Nur die bereits evolutionär angepassten Mungos können weiterhelfen, weil sie mutmaßlich längst passende Antikörper o.Ä. gegen diese Viren gebildet haben. Diese Wirkstoffe können mittels Speichel an die außerirdischen Kolonisten verabreicht werden. Aber das macht eigentlich bloß einen Nebenstrang aus, anderes ist vordergründig. Auch kommt man zufällig viel zu schnell und einfach so ans Gegenmittel, ohne dass es da Jahrzehnte der Grundlagenforschung zuvor gegeben hätte wie bei den mRNA-Impfstoffen wider Corona. Und ja, klar, mit dem heutigen Wissen einen Heftroman aus dem Jahre 1962 zu messen, ist letztlich unfair. Nichtsdestotrotz stört sich die Realität ja nicht an Vereinfachungen. Nur weil jemand nicht daran denkt, dass es das geben könnte, hört es zu existieren auf. Auch das wieder eine Spielart von den sog. „Narratoferenzen“ – hier die Erzählwelt aufgrund real gemachter Erfahrungen mit fortlaufender Pandemie richtiggehend unterkomplex anmutet. Und zwar, weil die Größe eines pandemischen Problems live miterlebt wurde, das hier wie nebensächlich mit abgehandelt worden ist. Wohl schlicht mangels entsprechender Erfahrungen des Autors. Aber das führt jetzt weg vom Eigentlichen: dass auf allen Auroras des Universums Prionen, Viroide, Virusoide, Satelliten-Viren oder Virophagen auf die uneingeladenen Ankömmlinge warten, um ihnen einen epidemischen Empfang zu bereiten!
Rücksturz in die Realität
So viel zur science fictional assoziierenden Vorrede als Gedankenhorizont, vor dem sich nun Folgendes diesseits unserer Realität entfaltet: Es geht um die Nture-Studie: „Climate change increases cross-species viral transmission risk“, worüber am 29.04.2022 sowohl Scinexx als auch Technology Review mit eindrücklicher Dringlichkeit berichtet haben!
Auch wenn angelegentlich noch von der Lab Leak-These geschwurbelt wird, demnach Laborviren wie Captain Trips entkommen wären, ist der zoonotische Weg vom Tier zum Menschen der höchstwahrscheinliche. Denn: siebzig Prozent aller von Viren verursachten Infektionskrankheiten sind zoonotischer Herkunft. Dass und wie sehr Krankheiten dann zwischenmenschlich mutationsfreudig zirkulieren können, erleiden wir bei Corona vom Wildtyp bis Omikron BA-5 zurzeit. Und besagte Studie schaut nun, wie sich die Wahrscheinlichkeit von zoonotischen Pandemien inmitten der Klimaerhitzung erhöht. „Emerging Diseases“ der Fachausdruck dafür, wenn es vom Wildtier direkt zum Menschen oder über den Umweg von Nutztieren auf ihren Halter von einer zur anderen Art überspringt. Ohnehin provoziert, indem der Mensch raumgreifend immer näher den Wildtieren kommt, sie durch Landnahme aus ihren Habitaten vertreibt, gleichzeitig immer mehr Nutztiere eng an eng sich ballen lässt und so alle Bedingungen für ein gelingendes Überspringen freimütig schafft. Wie wir lernen mussten, sind Lebewesen und nur diese Wirte für Viren, erst durch ihre Mobilität diese Wirte die Viren in der Fläche verbreiten und ‚unters Volk‘ bringen. Viren selbst sind sozusagen an und für sich immobil, wenn man ihnen nicht Beine macht.
Das Forschungsteam simulierte nun die sich klimawandelnden Verbreitungsgebiete von 3870 Säugetierarten, die ja nie allein losmarschieren, sondern immer ihren mikrobiellen Zoo mit sich nehmen.
„Die meisten Wildtiere haben nicht viel Gelegenheit, untereinander Viren auszutauschen: Nur sieben Prozent der Säugetierarten teilen einen Lebensraum und sechs Prozent tragen bisher eines oder mehrere gemeinsame Viren in sich“, erklärt das Team. „Aber wenn die Verbreitungsgebiete sich verändern, werden neue Interaktionen möglich – und ein Teil dieser Kontakte wird zur Übertragung von Viren auf zuvor nicht verfügbare Wirte führen.“Scinexx
Das stelle ich mir als ein globales Netzwerk vor, in dem nun bisher relativ fixe Knotenpunkte sich verschieben. So werden die Distanzen zwischen diesen ‚Wirtsballungen‘ andere, die Wege zumeist kürzer.
Was das konkret für die nahe Zukunft bis zum Jahr 2070 bedeutet, haben Carlson und sein Team mithilfe ihres Modells untersucht. Demnach könnten sich die Verbreitungsgebiete schon bei einer gemäßigten Erwärmung um rund zwei Grad so verschieben, dass gut 300.000 zusätzliche Erstkontakte zwischen den Wildtierarten möglich werden. „Im Prinzip entspricht dies einer Verdopplung der potenziellen Artkontakte“, so Carlson und seine Kollegen.Scinexx
300.000 liest sich für mich zunächst nicht viel. Man muss sich aber bewusst machen: es geht um ERSTKONTAKTE. Es sind keine alltäglichen ‚Normalkontakte‘ gemeint, wie sie eh regelmäßig zustande kommen. Es geht wirklich um das allererste Aufeinandertreffen zweier Arten, die bis dato keinerlei lebensräumliche Berührungspunkte miteinander pflegten. Wo ist vor allem damit zu rechnen?
Diese Erstkontakte zwischen Säugetierarten werden überall in der Welt vorkommen, aber sich vor allem im tropischen Afrika und Südostasien konzentrieren. Denn dort finden sich artenreiche Regionen, in denen eine stark gegliederte, hügelige Landschaft viele verschiedene Habitate und Klimazonen auf kleinem Raum bietet, wie das Team erklärt. Tierarten müssen daher nur geringe Entfernungen zurücklegen, um in neue Lebensräume und Klimazonen vorzudringen und dabei auf „neue Nachbarn“ zu treffen.Scinexx
Prognosen sind stets unsicher, wenn sie die Zukunft betreffen. Je nachdem, wie mobil die hitzegestressten Arten de facto sein werden, gehen die Forschenden von minimal 4.500, ungut möglich aber auch bis zu 15.000 viraler Artsprünge aus, zu denen es bei „moderater“ Erhitzung von 2°C (plus 0,8°C zum jetzigen Erhitzungsstand) kommen dürfte. 1,5 bis 5% der Erstkontakte enden demnach im viralen Artsprung.
Das Problem dabei: Wenn ein Virus von einer Wildtierart auf eine andere überspringt, erhöht sich auch das Risiko für einen Kontakt mit dem Menschen. „Die Virenarten, die erfolgreiche Artsprünge im Tierreich absolvieren haben auch die höchste Neigung dazu, neue Zoonosen beim Menschen zu verursachen“, erklären Carlson und sein Team. „Die Wildtier-Artsprunge bilden evolutionäre Trittsteine für die rund 10.000 potenziell zoonotischen Viren, die zurzeit in Säugetieren zirkulieren.“Scinexx
Als Folge wandelt sich das sog. Säugetier-Virom, also die Zusammensetzung viraler Besiedlung und Wirtsnutzung bei Säugetieren. Bis Ende 2019 hatten wir schließlich als Homo sapiens auch noch kein SARS-CoV-2, das nun den viralen Cocktail bereichert und – noch nicht endemisch – Teil unseres Viroms geworden ist.
Da hat man just erst den Stammbaum der RNA-Viren verdoppelt, als man auch mal in die Ozeane geschaut hat, aus denen doch das Leben emporgestiegen ist. Einmal hingeschaut, prompt gerät man in eine unendliche Entdeckungsschleife des ständig Neuen. Im Ozean lässt es sich gut leben, selbst für Nichtleben wie Viren;-) Wenn es nun aber mindestens 4500 mal artspringt, kommt es obendrein auch noch zu zahlreichen Mutationen und der Stammbaum wird zum struppigen Gebüsch. Ein Beispiel dafür: Weißwedelhirsche, bei denen SARS-CoV-2 ebenfalls zirkuliert. Ggf. mit Delta angesteckt, ist das Hirsch-Virus gegenüber dem ursprünglichen Wildtyp an 76 Stellen mutiert – Omikron bspw. hatte als Ersttyp BA-1 rund 59 solche Mutationspunkte. Das Spike-Protein, mit dem das Virus an die Zellen andockt und diese kapert, ist einfach verflucht mutationsfreudig. Und die Zahl der infizierten und infizierbaren Tiere ist enorm. So kursiert das Virus auch bei Ratten in der New Yorker Kanalisation…
Pandemischer Cocktail
Doch während in den science fictionalisierten Welten die aufeinander treffenden Lebewesen schlicht gar nicht miteinander verwandt sind, keinerlei gemeinsame Evolution teilen, leben wir auf dieser einen einzigen Welt evolutionär seit Jahrhundertmillionen Jahren zusammen und in stetem mobilen Wandel miteinander. In den SF-Welten reden wir also von absoluter Verschiedenheit, auf Erden von relativer. Relativ, denn:
Verblüffend alt: Die Aufteilung der Gene auf die verschiedenen Chromosomen ist im gesamten Tierreich erstaunlich gleich geblieben, wie eine Analyse enthüllt. Demnach haben sich diese Chromosomen-Einheiten seit der Entstehung der ersten Mehrzeller vor rund 600 Millionen [Jahren] kaum verändert – sie finden sich bei Schwämmen und Korallen ebenso wie beim Menschen. Zwar unterscheiden sich die einzelnen Gene und ihre Abfolge innerhalb der Chromosomen, ihre Grundaufteilung aber ist überraschend stabil.Scinexx
Soll heißen: hier auf Erden stammt alles aus selber Quelle ab, ist gespeist aus ‚identischem chromosomalen Bausatz‘, der erkennbar, aber nicht fundamental verschieden kombiniert worden ist von Gemutter Evolution.
So ist gerade der Mensch – erectus bis sapiens – durch seine Mobilität ausgezeichnet. „Out of Africa“ als Name der profunden Theorie, dass alle Wege der menschlichen Vorfahren aus Afrika hinaus in die Welt geführt haben. Hinaus und somit hinein in fremde Habitate ganz verschiedener Fasson. Getrieben nur allzu oft durch das Klima, das die Evolution des migrantischen Menschen prägte! Der längst nicht mehr ökosystemisch gebundene, sondern biosphärisch ausgreifende Mensch, der völlig entgrenzt keine Habitatsgrenzen mehr kennen will.
Doch aus welchen Zutaten ist denn so ein viromwandelnder Cocktail zusammengesetzt, der Artsprünge ermöglicht und Pandemien provoziert?
- Abholzung und Zerstörung natürlicher Lebensräume von Wildtieren,
- Ausbreitung landwirtschaftlicher Flächen,
- wachsender Bestand von Nutz- und Haustieren,
- Nähe dieser Nutztiere zu Wildtieren,
- Bevölkerungsdichte
- und last but not least das Vorhandensein von bestimmten Fledermäusen – die Hufeisennasen gelten als natürliche Reservoire von SARS-Coronavirus-ähnlichen Viren – sowie die Beschneidung ihres Lebensraums.
Science.ORF.at – Fokus auf weiteren Corona-Pandemien – Textanordnung durch den Blogautor
Dass es ob dessen diagnostiziert zu einer pandemischen Risiko-Vervierfachung kommen würde, ist seit bloß 14 Jahren, schon seit 2008 erkannt und publiziert. Wir leben also seit gut zwei Jahren inmitten dieser „Vervierfachung“!
Interessant noch im Längsschnitt, der Langzeitbetrachtung:
Wie oft wiederholen sich große Pandemien wie die Spanische Grippe oder die aktuelle Corona-Pandemie? Das haben Forscher jetzt mithilfe eines Modells und Seuchendaten aus den letzten 400 Jahren ermittelt. Demnach liegt das Risiko für eine neue Pandemie im Corona-Maßstab bei rund zwei Prozent pro Jahr oder einmal alle 56 Jahre. Eine Seuche vom Ausmaß der Spanischen Grippe gibt es einmal alle 400 Jahre. Allerdings: Ausbrüche neuartiger Infektionen nehmen immer weiter zu, so dass auch verheerende Pandemien wahrscheinlicher werden.Scinexx: „Pandemien – Wann droht die nächste?“
Der letzte Satz ist entscheidend: Über 400 Jahre geblickt und ‚verdünnt‘ kommen zitierte Zahlen zusammen. Schaute man auf kürzere Zeiträume, bspw. seit der Spanischen Grippe vor gut 100 Jahren, dann beginnt es sich bereits zu ballen – die Einschläge kommen näher, die Abstände werden kürzer. „Kaum aussagefähige Statistiken, Handel mit Wildtieren, Zerstörung von Ökosystemen: Pandemien sind nicht ein Teil unserer Kultur, sondern deren Folgen“:
Gerade dort, wo Land gewonnen wird, die Landwirtschaft intensiviert, Wälder gerodet, Straßen gebaut werden, dringen zwangsweise Menschen in Habitate von Wildtieren ein und werden von diesen mit neuartigen Viren infiziert. Das war in allen bisherigen Fällen so, ob Ebola, Marburg, MERS oder SARS – jedes Mal handelte es sich um Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragene Erkrankungen.Marcin Pietraszkiewicz bei Telepolis bereits am 23.03.2020
Wie in den SF-Romanen, wo der Mensch auch gedankenlos in absolut fremde Habitate vordringt, dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist. Und so wie er durch sein Verhalten und nichts anderes bspw. coronavirenreiche Fledermäuse unter Überlebensstress setzt (und dafür keine Dankbarkeit erntet), so wäre es vergleichbar auch in fernsten SF-Welten, wohin der Mensch einbricht, um eigensinnig Ressourcen zu stehlen. IM realen Diesseits oder SF-Jenseits – entlang ressourcenfräßiger konsumistischer Lieferketten hat der Mensch den Viren den Weg geebnet. Erst recht, wenn die industriellen Schloten rauchen, um zu produzieren.
Unglaublich? Beispiel HI-Virus und wie es als AIDS zur Seuche werden konnte – Raj Spielmann zeichnet den Weg bei Telepolis mehrteilig nach: kolonialherrliche Landnahmen, Ressourcenausbeutungen, deren Abtransport mittels Infrastrukturen bewerkstelligt werden konnten. An diesen Verkehrs- und Handelswegen entlang schleppten die sklavischen Wirtskörper nicht nur die begehrten Rohstoffe ins gelobte Land, sondern nahmen als unintendierte Nebenfolge auch ihre Virome mit. „Out of Africa“ – nun aber anders. Nicht nur das Imperium schlägt zurück… Das Virus findet einen Weg!
Einen Weg, der bei selbstverständlicher Weltennahme in den SF-Kosmen ständig gebahnt werden dürfte. Erst recht, weil es meinen Lektüren nach im Grunde nie Vorabkommandos gegeben hat, die robotisch auskundschaften, ob und was vor Ort anzutreffen ist, um allen voran dagegen Impfungen zu entwickeln. Nur mit solchen dürfte man als Mensch den Fuß auf fremde Welten setzen, die als habitabel zur Kolonisierung freigegeben sind. Doch gibt es da die fernliegendsten Kolonisationsprobleme oder Nebenfolgen, wie zum Beispiel die radikale Schrumpfung der Siganesen im Perryversum, die durch die Hyperstrahlung der Sonne verursacht wurde und sie nur noch 15 Zentimeter klein werden ließ. Dafür aber auch extremlanglebig: 900 Jahre. Und obwohl diese wie alle übrigen Siedlungswelten bereits belebt sind, es vom Leben i.a.R. nur so wimmelt, gibt es von einigen Ungetümen wie auf der perryversalen Venus abgesehen jedoch so gut wie keine Kontaktprobleme mit heimischer Flora und Fauna. Das läuft anpassungseinfach größtenteils reibungslos. Artsprünge, Pandemien, die die Siedler massenhaft dahinraffen – Fehlanzeige.
Oder doch ganz anders?
So viel zu meiner zutiefsten Skepsis, das SF-Kolonisierungen einfach so, wenn überhaupt möglich sind und das indigene Heilungspraktiken artspringen können. Argumentation entlang des Umstands, dass es keinerlei gemeinsame Grundlage gibt, an die man anknüpfen, auf die man aufbauen könnte. Es gab keine evolutionären Ertüchtigungen, sich anzupassen, weshalb es nur im Schnelldurchgang auf die knallharte Tour nachzuholen wäre. Außer: das Leben ist multiplanetar, wo es sich je evolutionär gaiatisch angepasst, eingeflochten und verknäuelt hat mit den anorganischen Bedingungen. Herkömmlich ist es jedoch interplanetar, hat es einen panspermischen Ursprung. Hierfür gibt es ohnehin Fans, die das annehmen, aber auch manch Belege. Demnach sind gutmöglich manch relevante Bestandteile von und für Leben angeliefert worden zum Beispiel per Meteoriten-Express, der DNA-Bausteine frei Haus geliefert hat.
Aber wenn diese ‚kosmische Quelle‘ die Lebensbausteine verteilt hätte, dann hieße es ja nicht notwendigerweise auch, dass überall Ein- und Dasselbe abgeliefert wurde. Vielmehr sind für mich massenhaft viele Kombinationen denkbar, die eingebettet in die planetaren Umstände dann ganz ureigene Lebenspfade beschreiten ließen, aus bloßen chemischen Gärten Leben in unendlicher Mannigfaltigkeit ausdifferenziert hätten. Aus chemisch abiotischer wird dann erst biotische Evolution. ANGENOMMEN – und das ist jetzt frei behauptet, es gäbe genau 10 solcher Bausteine, dann liegen die ja nicht in jedem Meteoriten vollumfänglich vor. Viel eher bringt der eine dies, der andere das. Und wenn das Leben panspermisch entstanden oder zumindest initiiert sein sollte, das hat es sich eventuell auch deshalb so lange Zeit gelassen, weil erst alle für die Erde nötigen Zutaten zusammenkommen mussten. Die behaupteten 10. Aber vielleicht reichen in anderen Gaias im Kosmos auch 9 oder 8 Zutaten, wenn die Umstände günstiger sind. Oder man braucht weniger Zeit, weil zufälligerweise schon die ersten Meteoriten alles mit sich brachten. Oder mehr Zeit, weil von den Bausteinen 1-7 reichlich zugegen ist, es aber an den letzten 1-3 mangelt, die einfach nicht ausgeliefert worden sind.
Wenn Leben panspermisch ist, wenn es eine bestimmte Anzahl an Bausteinen zum Entstehen braucht, dann ließe sich hierüber verständlich machen, wieso es dann trotz je planetar eigenlogischer Evolutionen doch Verbindendes geben kann. Schlicht, weil alles Leben überall auf diesen Bausteinen gleichartig basiert. So wie obige auffallende Chromosomen-Ähnlichkeiten aller Lebewesen seit 600 Millionen Jahren, wo nur die genauen genetischen Codes, sozusagen die chromosomalen Beschriftungen sich unterscheiden, anders ausbuchstabiert sind, wäre es bei Leben hochskaliert analog: die Bausteine gleichen sind, nur die evolutionäre Ausbuchstabierung weicht voneinander ab. Doch wie sollte man das beweisen können? M.E. lässt sich das nur postulieren und rein induktiv anhand von obigen Meteoritenfunden für die Erde als Einzelfall nachvollziehbar machen. Was anderswo im Universum geschehen ist, bleibt demgegenüber uneinsehbar. Bzw. nur das Endergebnis Leben ließe sich – vorerst nur indirekt – erschließen, indem man Methan und Sauerstoff detektiert, die stark mit Leben korrelieren. Aber ob ein so entdeckter Planet zuvor Meteorite aufgenommen hat, bleibt unklar.
2 Kommentare zu „Planetares Leben – Einander in- oder kompatibel?“